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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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gar keine Lust hatte aufzuhören.
    Nicholas stellte das Glas wieder hin, blickte Joseph Gramowitsch an und spürte plötzlich eine Welle echter Sympathie für diesen mit allen Wassern gewaschenen, pfiffigen und gleichzeitig doch so kindlich offenherzigen Dickwanst.
    Das gerührte Kitzeln in der Brust bedeutete, dass es Nicholas jetzt dazu treiben würde, gute Ratschläge zu erteilen. Der zwanzigjährige Cognac hatte alle Bremsmechanismen außer Kraft gesetzt. Der Magister hielt noch eine halbe Minute stand, während Sosso die Kugeln auf dem grünen Tisch im Dreieck anordnete, dann gab er auf.
    »Mit dem Glauben ist es am einfachsten«, sagte er.
    »Ja?«, fragte Gabunija erstaunt und erstarrte mit dem schon auf das Ziel gerichteten Billardstock.
    »Man darf sich nicht bemühen, sich nicht zwingen, an Gott zu glauben. Das bringt nichts.«
    »Finden Sie? Soll ich dann kein Geld mehr für die Armenhäuser geben?«
    Ein helles Klicken. Das Dreieck zerfiel in gelblich weiße Kugeln, von denen keine einzige – o Wunder – den schlummernden Chouchou traf.
    »Warum ihnen nichts geben? Geben Sie ruhig, das ist doch eine gute Sache«, erlaubte ihm Nicholas. »Nur erwarten Sie nicht, dass Sie aufgrund dieser Taten die Gnade überkommt. Geben Sie, wenn Sie Geld haben, aber denken Sie dabei nicht an den Glauben. Wenn Sie das Bedürfnis danach haben, wird der Glaube, wenn nötig, von selbst zu Ihnen kommen, aber Sie können ihn nicht aus Ihrer Seele an den Ohren herbeiziehen. Trinken wir?«
    Sie tranken.
    »Reden wir jetzt von Ihren Merkwürdigkeiten bei der Liebe«, schlug Fandorin vor, während er ein winziges Eclair aß. Die Stimmung des Magisters war siegesgewiss, sämtliche Probleme der Welt kamen ihm jetzt leicht und lösbar vor. »Was stimmt denn da nicht? Sie haben doch eine junge, bildschöne Frau, wie ich in einer Illustrierten gelesen habe.«
    »Ja, aber sie liebt mich nicht«, sagte Sosso verbittert, wobei seine Pausbacken schlaff und traurig nach unten hingen. »Mit Nr. 8 gegen die 9 und ins mittlere Loch . . . Das ist schon mein ganzes Leben so. Das ist Schicksal. Ich habe mit zwanzig zum ersten Mal geheiratet. Die Braut war ein Engel, der Vater Sekretär des Stadtbezirkskomitees. Wie ich sie geliebt habe, wie ich sie geliebt habe! Erinnern Sie sich noch an das Lied ›Eine Million rote Rosen‹?«
    Nicholas schüttelte den Kopf. Er erinnerte sich nicht. Der Raum um ihn herum begann sich genauso unverantwortlich aufzuführen wie in der Schänke. Sogar noch schlimmer.
    »Die Pugatschowa hat dieses Lied gesungen. Aber das war später, in den achtziger Jahren. Ich habe für meine Nina schon Sechsundsechzig, ohne jede Pugatschowa, die ganze Ernte der Blumenzüchter-Kolchose ›40. Jahrestag des Oktoberrevolution gekauft und die Straße vor dem Haus mit Rosen bestreut. So habe ich sie geliebt . . . Sie zog die Nase hoch, beschimpfte mich, erniedrigte mich. Kokettierte mit anderen Männern. Betrog mich . . .« Gabunijas Stimme zitterte bei diesen bitteren Erinnerungen. »Ich habe es nicht ausgehalten, ich habe sie umgebracht.«
    Fandorin verschluckte sich am Cognac.
    »Dreißig Jahre ist das jetzt her«, beruhigte ihn Sosso. »Ich war jung und hitzig. Hatte sogar die Uni noch nicht abgeschlossen. Damals waren die Gesetze streng, ich habe sechs Monate im Gefängnis gesessen!« Er erhob stolz seinen Finger, ließ aber gleich darauf den Kopf wieder hängen. »Ich habe ein zweites Mal geheiratet, wieder aus wahnsinniger Liebe. Sie war Sängerin an der Oper von Tbilissi. Ihre Stimme – die Seraphim im Paradies singen nicht so schön! Sie ging auf Tourneen durch das ganze Land. Und ich folgte ihr wie ein Hündchen, so wie mein Chouchou hier! Alle möglichen Laffen machten sich an sie ran, schickten Blumensträuße, Briefchen, ich aber litt. Siebzehn Jahre habe ich gelitten! Neunundachtzig ist sie bei einem Autounfall umgekommen, Gott hab sie selig. Wie viel Schande es gab . . .«
    »Wieso Schande?«, fragte der mitleidende Nicholas düster.
    »Sie war im Auto von Churzilawa. Das war so ein Schauspieler bei uns, ein bekannter Schürzenjäger. Als sie mit dem Schweißbrenner das Dach abgetrennt hatten, um sie herauszuziehen, saß er ohne Hose am Steuer und meine Lisa daneben . . . Da war natürlich der Teufel los!«, sagte Joseph Guramowitsch und winkte mit der Hand ab. »Ich bin von Tbilissi nach Moskau umgezogen. Dachte, jetzt reicht’s mir, keine Frau mehr, keine Liebe. Aber als ich Sabrina sah, war ich sofort hin und weg!

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