Die Bibliothek des Zaren
Ich war verloren, ich alter Trottel! Mir tut es um nichts Leid für sie: Alle möglichen exklusiven Klamotten, Klunker, einen Leguan habe ich aus Amerika kommen lassen, das ist so eine widerliche Echse, Sabrinotschka wollte sie. Und was meinen Sie? Letzte Woche habe ich sie vom Masseur runtergeholt. Vorgestern habe ich meinen Chauffeur raus geschmissen. Wir haben erst vor dreieinhalb Monaten geheiratet! Vor hundert Tagen! Wenn sie wenigstens um Verzeihung bitten würde – von wegen! Sie macht nur solche Augen!« Sosso reckte den Kopf und kräuselte die Nase, um ihren verächtlichen Blick nachzuahmen. »Nein, Nikolai Alexandrowitsch, ich verstehe irgendwie das Wichtigste an der Liebe nicht. . . Nr. 3 gegen Nr. 11 und in die Ecke.«
Fandorin dachte kurz nach und hob an:
»Meiner Ansicht nach verstehen Sie sehr wohl etwas von der Liebe, Joseph Guramowitsch, und finden jedes Mal eine Frau, die Sie glücklich macht.«
Vor Überraschung zitterte die Hand des Meisters. Er schnitt die Kugel falsch an – und traf den armen Chouchou an der Stirn. Das Schoßhündchen sprang mit empörtem Gejaule auf dem grünen Tuch herum und kläffte, aber Sosso hatte keine Augen für seinen Liebling, er blickte über die Schulter hinweg auf Nicholas und musterte ihn von Fuß bis Kopf.
»Soll das ein Witz sein?«, fragte der Bankier beleidigt. »Das ist wohl englischer Humor?«
»Keine Spur«, erklärte Fandorin. »Glück in der Liebe, das heißt für Sie einfach: sich ungeliebt und unglücklich fühlen, eifersüchtig sein. Was ist denn Liebe eigentlich?« Bei diesen Worten schwenkte der Magister begeistert sein leeres Glas. »Liebe, das ist das Gefühl, dass du von einem anderen Menschen etwas bekommst, was du für dein Leben unbedingt brauchst. Etwas, was dir kein anderer geben kann. Dieses Gefühl trügt nicht selten, aber es geht jetzt um etwas anderes. Man hört oft: ›Was für ein unglückliches Paar! Die Frau quält den Armen so schrecklich, er aber, der Langmütige, betet sie trotzdem an, verzeiht ihr alles, und sie leben doch schon so lange zusammen und gehen nicht auseinander.‹ In Wirklichkeit braucht dieser Langmütige eben gerade so eine, die ihn quält. Wenn Sie eine andere Frau hätten, die Sie anbetete, Sie würden sie keines Blickes würdigen und zum Teufel jagen . . . So dass mit der Liebe und dem Familienglück bei Ihnen alles in Ordnung ist.«
Der Magister schenkte sich selbst etwas Cognac ein.
»Was war das dritte Problem?«
»Ich bin zu fett«, erinnerte ihn Sosso, der etwas verwirrt war. »Ich schäme mich, es zu sagen, ich kann mir meine Schnürsenkel nicht allein zubinden. Ich habe es mit allen möglichen Diäten versucht, habe mich in Sanatorien von Algen ernährt – nichts hilft. Ich quäle mich zwei Monate, nehme zwanzig Kilo ab, mir vergeht die Lust am Leben, ich denke nur an Schaschlik, Hummer, Hammelkeule in Nusssauce. Dann pfeife ich auf alles – und nehme in einem Monat wieder so viel zu, dass ich erneut 124 Kilo wiege.«
»Haben Sie schon mal 125 Kilo gewogen?«, fragte Nicholas streng.
»Noch nie. Haargenau 124. Weder ein Gramm drüber noch eins drunter.«
»Dann brauchen Sie doch gar nicht abzunehmen«, sagte Fandorin in seiner Großmut. »124 Kilo, das ist Ihr optimales Gewicht, der Umfang, auf den die Natur Sie programmiert hat. Wenn Sie noch mehr zunähmen, wäre das etwas anderes. Aber so, essen und trinken Sie nach Herzenslust. Auf Ihr Wohl! Apropos!« Er hob das Glas. »Wie sagen doch bei uns im Ausland die Leute, die kein Russisch können: Na sdorowje!«
»Sie gefallen mir, Nikolai Alexandrowitsch«, sagte Sosso gefühlvoll, nachdem er auf sein Wohl getrunken hatte. »Sie sind ein weiser Mann. Kommen Sie, ich umarme Sie.«
»Gleich«, sagte der Magister und wehrte ab. »Ich muss erst ein Gedicht aufsagen, ein philosophisches. Es ist gerade eben erst entstanden.«
Anlage:
Der holprige Limerick, den N. Fandorin in der Nacht des 15. Juni im »Pedigree«-Klub dichtete:
Nicht einen Übeltäter gibt es weit und breiten.
Wir alle haben Kinderseiten.
Wir streiten, und wir lügen,
Und teilen doch auch edelmütig,
So lang unsere Mammis für uns Lieb das Bettchen bereiten.
ZWÖLFTES KAPITEL
Das unterirdische Moskau. Da ist’s! Schärfer als die
Zähne eines Wolfes. Im Konstantin-und-
Helena-Turm. Der letzte Wille des
christgläubigen Herrschers
»Ihr müsst verstehen«, wiederholte Walser zum x-ten Mal und schaute den Hauptmann schuldbewusst über die Brille hinweg an, »ich musste Euch
Weitere Kostenlose Bücher