Die Bibliothek des Zaren
Von Dorn musste nichts für sein Essen und das Futter seiner Pferde zahlen, sollte dafür aber das Oberkommando über die Schutztruppe der Karawane haben, d. h., er sollte ehrlich kämpfen und dabei bis zum Äußersten gehen, um zu vermeiden, dass die Kaufleute und ihr Gut Räubern in die Hände fielen. Deshalb ritt Cornelius in abgelegenen Gegenden voraus und schaute sich kriegslustig nach allen Seiten um (mit quer über dem Sattel hängender Muskete und geöffneter Revolvertasche). Vier ebenfalls mit Musketen bewaffnete Landsknechte folgten ihm. Dann kamen die Fuhrwerke (weitere zwölf bewaffnete Diener säumten den Weg), und erst am Schluss kamen die Kaufleute mit gezückten Säbeln und Pistolen. Zwei oder drei Mal regte sich etwas in den Büschen am Wegesrand, eine Eule schrie mitten am hellen Tag, aber keiner der herumstreunenden Kerle traute sich, es mit diesen entschlossenen Männern aufzunehmen. Im Großen und Ganzen war die Absprache für Cornelius von Vorteil.
Das einzige Unglück war: Jeden Abend bei der Rast, wenn sie die Fuhrwerke ringförmig miteinander verkuppelt und Wachen aufgestellt hatten, baten die ehrenwerten Kaufleute ihn aus Mangel an anderen Zerstreuungen wieder und wieder zu erzählen, wie der tüchtige Musketier gleich im ersten russischen Dorf betrunken gemacht, nackt ausgezogen und außerhalb des Dorfes abgesetzt worden war. Es gab jedes Mal ein großes Gelächter und viele Scherze; sie konnten nicht genug bekommen. Allerdings gab sich auch von Dorn selber Mühe, dass die Geschichte durch die Wiederholung nicht blasser wurde – er erfand immer neue Einzelheiten, und je länger das dauerte, desto kurioser und unwahrscheinlicher wurden sie.
»Ihr solltet Euer Brot nicht mit dem Säbel, sondern mit dem Gänsekiel verdienen, Herr Hauptmann«, sagte Meyer immer wieder, während er sich die dicken Hüften hielt und die Tränen abwischte. »Die Verleger würden Eure Fantasie mit Gold aufwiegen. Besonders gern höre ich, wie Ihr die Bestie von Schankwirt vor den Karren gespannt und ihn gezwungen habt, Euch zum Polizeichef zu bringen. Und dann noch, wie Ihr splitterfasernackt gravitätisch durch das ganze Dorf stolziert seid und die jungen Frauen durch den Zaun Eure imposante Figur angestarrt haben.«
Das mit dem Karren war natürlich eine Erfindung von Cornelius, aber das Abenteuer in dem Dorf Neworotynskaja hatte tatsächlich auch ohne Lügenmärchen ein gutes Ende gefunden. Von Dorn dachte nun mit Vergnügen an diese Geschichte zurück und war stolz darauf, dass er sich in dieser schrecklichen Situation nicht hatte unterkriegen lassen, sondern sich sein Hab und Gut zurückgeholt und die Diebe exemplarisch bestraft hatte.
Dass er nackt durch das Dorf gegangen war, entsprach der Wahrheit – wie hätte er denn sonst zu der verdammten Schänke kommen sollen? Junge Frauen hatte er allerdings nicht gesehen, ihm begegnete unterwegs nämlich niemand. Bevor er die Freitreppe der Schänke hochstieg, nahm sich Cornelius ein knorriges Holzscheit von einem Stapel.
Die Trinker sahen sich mit Interesse, aber ohne große Verwunderung nach dem nackten Mann um – offenbar hatte man hier schon ganz andere Dinge gesehen. Zwei Dienern, die sich auf den Eintretenden stürzten, um ihn hinauszustoßen, zeigte es von Dorn ordentlich: Dem einen zog er mit Schwung das Holzscheit über den Kopf, dem anderen rammte er die Stirn in die Nase. Dann trat er die am Boden Liegenden noch ein wenig, zur Abschreckung für die anderen, aber auch als Tribut an die Gerechtigkeit. Hatten doch vermutlich genau diese gemeinen Kerle ihn hier weggeschafft, nachdem man ihn betäubt und beraubt hatte.
Der Schankwirt wartete hinter der Theke mit einer vorsintflutlichen Pistole in der Hand. Der Hauptmann brauchte nur ein wenig in die Knie zu gehen, um dem Schuss auszuweichen. Dann packte er die Canaille am Bart und haute seine fette Fresse auf die Theke. Knallte sie in das Pilzgericht, den schwarzen Brei (wie die Kaufleute ihm erklärten, war das der berühmte Kaviar vom Stör), in das Sauerkraut und einfach so: gegen das Holz. Die Schläge waren knackig, saftig – Cornelius zählte sie laut ab, auf Deutsch. Die Trinker beobachteten ihn mit Respekt, niemand drängte es danach, dem Schankwirt zu helfen.
Der Bärtige hielt anfangs still. Bei zweiundzwanzig fing er an zu heulen. Bei dreißig spuckte er Blut in das Sauerkraut. Bei dreiundvierzig fing er an zu röcheln und bat um Erbarmen.
Und dieselben Diener, denen Cornelius eins mit
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