Die Bibliothek des Zaren
war die langjährige Freundschaft zwischen Artamon Sergejewitsch und dem Zaren. Die beiden waren zusammen aufgewachsen, hatten als Kinder zusammen gelernt und gespielt. Die dritte Säule war das staatsmännische Geschick des Ministers. Doch diese Stütze war die schwächste, denn Zar Alexej war nicht besonders klug und schätzte weniger diejenigen, welche die Arbeit machten, sondern vielmehr die, welche Seine Majestät zum Lachen brachten. Und in diesem Punkt konnte es Matfejew nicht mit den höfischen Speichelleckern wie dem Obermarschall Chitrowo oder Fürst Iwan Miloslawski aufnehmen. Die Miloslawskis setzten ihre größte Hoffnung auf ihren Neffen, den Kronprinzen Fjodor Alexejewitsch; wenn der erst den Thron bestiegen hätte, wäre ihre Zeit gekommen, und Matfejew und die Naryschkins hätten das Nachsehen.
Aber der Zar war ja noch nicht alt und würde aller Wahrscheinlichkeit nach den kränklichen Fjodor überleben, wie er ja schon den vorigen Thronfolger Alexej den Jüngeren überlebt hatte. Schade war nur, dass die geistig wache Prinzessin Sofja zum anderen Lager gehörte und so Matfejews und folglich auch Hauptmann von Dorns Feindin war.
Das Absonderlichste an diesen rivalisierenden Parteien war, dass Iwan Miloslawski und der Bojar Matfejew in ein und derselben Artamon-Gasse wohnten, die wie durch eine unsichtbare Grenze in zwei feindliche Lager gespalten war. Artamon Sergejewitsch hatte seine Kompanie von Leibgardisten: die Musketiere, Miloslawski hatte eine andere: die Lanzenträger. Die einen wie die anderen stellten quer über die Straße reichende Gitter und Wachen auf, keiften sich an und prügelten sich auch manchmal. Aber Zweikämpfe und Blutvergießen waren streng verboten, dafür hatten von Dorn und der Hauptmann der Lanzenträger geradezustehen. Der Herrscher duldete keinen Totschlag unter seinen Leibgardisten. Wenn es zu so etwas kam, mussten Köpfe rollen, und es wäre dann Iwan Michajlowitsch und Artamon Sergejewitsch selbst an den Kragen gegangen. Deshalb ließen es die Nachbarn nicht zum Blutvergießen kommen, beobachteten einander aber scharf und fürchteten Intrigen, vor allem Spionage und Verrat.
Cornelius verstand nun, was sich sein Vorgänger, Hauptmann Dmitri Weberow, der von einem Kundschafter Matfejews beim Fürsten Miloslawski gesehen worden war, hatte zu Schulden kommen lassen.
***
Zur Wache im Kreml mussten sie an jedem vierten Tag antreten, die restliche Zeit waren die Musketiere zum Schutz von Artamon Sergejewitschs Person und Anwesen abgestellt. Sie bewachten sein geräumiges Gut und begleiteten den Bojaren auf Reisen, nicht alle natürlich, nur ein ausgewähltes Dutzend, aber der Kommandeur der Kompanie war immer dabei.
Mit der Zeit, als Matfejew Vertrauen gefasst hatte, setzte er ihn nicht nur zur Bewachung ein, sondern auch für andere Aufträge, die langsam aber sicher immer kniffliger und vertraulicher wurden. Cornelius überließ seine Kompanie immer häufiger seinem Gehilfen, dem Offizier Miron Sobakin, während er selbst für Artamon Sergejewitsch dolmetschte, mit Anweisungen zu den Regimentern ritt oder formvollendet in einer vierspännigen Kutsche mit Sendschreiben bei ausländischen Residenten vorgefahren kam. Er war nun nicht mehr nur Oberbefehlshaber über die Wachtruppe des Bojaren, sondern ein richtiger Adjutant.
Der erste Ratgeber des Zaren gierte nach Macht und Taten, er hatte fast ein Dutzend Behörden in seine Hand gebracht, und trotzdem war das dem Unersättlichen noch zu wenig: der Possolski Prikas, das damalige Moskauer Außenministerium, unterstand ihm, das Kriegsministerium und der Malorossiski Prikas, der für die Verwaltung der Ukraine zuständig war. Außerdem hatte er verschiedene Posten als Statthalter inne. Auch an den ruhigen Aptekarski Prikas, das Apotheken-Amt, ließ er niemand heran, sondern beanspruchte es für sich, weil er ein großer Verehrer der Wissenschaft war; ja, er galt bei den Moskowitern sogar als Anhänger der schwarzen Magie. Das beste Zimmer im Palast des Bojaren war reserviert für die riesige Bibliothek; sie umfasste an die dreihundert Bände. Russische Bücher gab es nicht viele darunter (woher sollten die auch kommen, in Moskowien wurde wenig gedruckt), es fanden sich dort vor allem polnische, deutsche und lateinische Bände.
Cornelius hatte nicht die Angewohnheit zu lesen und besuchte die Bibliothek eher wegen der Karten, die an den Wänden hingen. Er studierte verschiedene Routen, die zur polnischen und zur
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