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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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schwedischen Grenze führten; zwar hatte er nicht vor, sofort, gleich morgen, die Flucht anzutreten, sondern guckte eher für alle Fälle, für die Zukunft. Fortuna ist bekanntlich eine launische Person. Heute in Seide gekleidet und von der Macht mit Wohlwollen behandelt, musst du morgen womöglich die Beine in die Hand nehmen.
    Vorläufig bemühte er sich so sehr er konnte, dem Bojaren alles recht zu machen und ihn nicht zu enttäuschen. Er führte alle Aufträge genau aus, ohne dabei übereifrig zu sein. Artamon Sergejewitsch schätzte nämlich keinen zur Schau gestellten Eifer. Seine Devise war: Tu, was man dir sagt, und dräng dich nicht vor. Aus der Tatsache, dass von Dorn immer häufiger zu Tisch geladen wurde, sogar wenn Besuch da war, konnte man schließen, dass der Bojar mit seinem Adjutanten zufrieden war. Cornelius hielt respektvoll Abstand und versuchte, an der Tafel nicht aufzufallen: Er setzte sich an den Rand, in Türnähe, machte den Mund nicht auf und achtete darauf, sich um Gottes willen nicht als Erster die Pfeife anzuzünden.
    Matfejews Haus war von auffälliger Pracht, in Moskowien suchte es seinesgleichen. Weder das Interieur noch die Gepflogenheiten erinnerten an den Zarenpalast.
    In den Gemächern des Herrschers waren die Decken mit Blumen und Gräsern bunt bemalt, die Bänke mit Samt ausgeschlagen, und bei Festmählern reichte man Geschirr aus massivem Silber; gleichzeitig lagen auf dem Boden Dreck und Essensreste herum, die Zimmer waren dunkel, und der Gestank nach Knoblauch mischte sich mit dem Schweißgeruch der Bojaren in ihren Pelzmänteln.
    Das Anwesen in der Artamon-Gasse dagegen war hell und sauber. Der geräumige Hof war mit farbigen Kacheln ausgelegt, das Kupferdach funkelte, den First zierte eine Wetterfahne in Gestalt eines Ritters. Im Inneren war es noch prächtiger. Die Wände waren nicht nackt wie im Kreml, sondern mit vergoldetem, bedrucktem Leder bespannt. Überall hingen Gobelins und Stiche, Porträts europäischer Monarchen wechselten ab mit den weißen Leibern von Venusgestalten und Najaden. An Möbeln gab es nicht wie in Moskau üblich nur Bänke und Truhen, sondern mit bestickten Stoffen und Brokat gepolsterte Sessel, geschnitzte Schränke, im Esszimmer venezianische Stühle mit hohen Rückenlehnen, und im Arbeitszimmer stand ein riesiger Globus voller Tritonen und Meeresungeheuer.
    Die Leitung des Hauses oblag Iwan Artamonowitsch, dem getauften Mohr; vor zwanzig Jahren hatten sich ihn Saporosher Kosaken aus dem Tross eines türkischen Paschas herausgepickt und ihn dem Bojaren geschenkt. In den langen Jahren der Fahrten und Abenteuer hatte der schwarze Mann allerhand zu sehen bekommen. Er hatte es völlig verlernt, sich zu wundern oder zu fürchten, und durchschaute Menschen so gut, dass viele im Haus ihn fürchteten. Er brauchte einen nur mit seinen riesigen schwarzen Augen anzusehen und die dicken Lippen ein wenig aufeinander zu pressen, schon wusste er alles über dich: was du dir hast zu Schulden kommen lassen, woran du denkst und zu welchem Gott du betest. Er war leise, mochte kein Gebrüll und las gerne. Er hatte noch eine besondere Vorliebe: Man trieb die noch nicht zugerittenen Hengste aus der tatarischen Herde zu ihm, und der Mohr machte sie im Hof des Gutsgebäudes gefügig. Er warf ihnen das Lasso über, wobei er immer gleich beim ersten Mal traf, und scheuchte sie dann ein bis zwei Stunden lang im Kreis herum. Der Hengst wieherte, bäumte sich auf, schlug mit den Hufen und schielte mit tollwütigen Augen nach dem Peiniger, Iwan Artamonowitsch aber stand da wie angenagelt, rührte sich nicht, bleckte nur seine wunderbaren Zähne, und seine Augen waren genauso weiß unterlaufen wie die des Hengstes.
    Der Mohr war dem Bojaren ergeben wie ein Habicht: ohne Angst bis in den Tod. Er kannte alle seine Geheimnisse und Zukunftspläne. Wäre nicht die schwarze Haut gewesen, dann wäre Iwan längst Vorsitzender irgendeines wichtigen Ministeriums geworden oder verträte Matfejew als Vizekanzler, aber der Haushofmeister litt nicht unter seiner bescheidenen Stellung und nahm es dem Schicksal nicht übel, dass er ein Mohr war. Ihm reichte es völlig, dass Matfejews große Wirtschaft tadellos in Ordnung war, was bei allen, die in die Gemächer aus weißem Stein kamen, Neid und Bewunderung hervorrief.
    Dieses Glück wurde allerdings nur wenigen zuteil, da Artamon Sergejewitsch seine Gäste sorgfältig auswählte. Zu seinen »Donnerstagssitzungen«, Cornelius nannte sie Jour

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