Die Bibliothek des Zaren
wenn du deine Seele retten willst. – Keine Ahnung, von was für einem Samoley die Rede ist. – Vom Skorodom – ich hab vergessen, was das ist, ich glaub, der Name des Erdwalls –, vom Steinernen Tor geh 230 Sashen – eine Sashen, das sind sieben Feet, also eine Entfernung von ungefähr 500 Metern – durch die Schwarze Sloboda in derselben Richtung wie vom Fels Theos, deines Vorfahren, bis zum Fürstenhof – Hm, interessant. ›Fels Theos‹ – damit ist wahrscheinlich Theofels gemeint, der Stammsitz der von Dorns. Und was soll es da für einen Fürstenhof geben? Ach so! Er meint den Ort! Fürstenhof, so heißt das Nachbarstädtchen, wo sich früher das Gehöft der Fürsten Hohenlohe befand! Welche Richtung ist das dann also? Ich müsste das doch noch wissen, wo ich im vorletzten Jahr die ganze Gegend abgeklappert habe . . . Ja, genau: Fürstenhof liegt südöstlich von Theofels. Cornelius ist aber auch wirklich übertrieben vorsichtig. O. k., weiter im Text. – . . . zum Fürstenhof und da siehst du dann ein Holzhaus mit so vielen Fenstern, wie unser Vorfahr Hugo der Starke Töchter hatte. – Hugo der Starke lebte im 15. Jahrhundert. Ich habe in der Familienchronik des schwäbischen Zweigs der von Dorns gelesen, dass er dreizehn Töchter und nur einen Sohn hatte. Dreizehn Fenster also. Eine merkwürdige Zahl für ein Moskauer Gebäude des siebzehnten Jahrhunderts. – Und wenn das Haus bei einem Feuer verbrannt ist, ist das keine Katastrophe, denn es hat ein solides Grundwerk (also ein Erdgeschoss oder Fundament). Wenn du in dieses Grundwerk hereinkommst, geh in die nordöstliche Ecke. Da ist eine schmale Steintafel. Hebe diese Platte an, darunter ist eine eiserne Kette mit einem Ring. Zieh daran, dann kommst du in einen geheimen unterirdischen Raum. Bevor du dort hinuntersteigst, bete zu unserem Herrn Jesus Christus. Fürchte dich nicht vor den Knochen der Toten, aber lass dich um Christi willen auch nicht von deiner Neugier mitreißen und rühr auf keinen Fall den Samoley an. – Schon wieder dieser rätselhafte Samoley! – Verstoße nicht gegen meinen väterlichen Willen, sonst wird es dir und dem ganzen Menschengeschlecht schlecht ergehen. Schieb das Buch weg und . . . – Hier fehlt etwas. Aber das liegt nicht am Scanner . . . meine Hälfte hat einen Defekt, das Papier ist durchgescheuert. Ein ganz kleines Loch für ein kurzes Wort. Ansonsten ist das Dokument hervorragend erhalten. Nach dem Kontext zu schließen, handelt es sich um etwas Formelhaftes, Frommes. Zum Beispiel: ›Mit Gott‹. Aber was ist denn eigentlich an diesem mit Bast zugedeckten Samoley so schrecklich? Warum jagt er dem Sohn eine solche Angst ein? Wahrscheinlich irgendein Aberglaube. Kommen wir zu dem Wichtigsten: dem Ende. – So wirst du Iwans Liberey finden. Christus segne dich. Geschrieben in Infernograd am j. Mai des Jahres 190. Unterzeichnet von Kornej Fondorn.«
Die Wange auf die Hand gestützt, kommentierte Nicholas laut:
»Das ist kein Testament, sondern eher eine Ortsbeschreibung, die Cornelius 1682 für seinen damals vermutlich noch ganz kleinen Sohn festhielt. Und woraus schließe ich, dass Nikita noch ganz klein war? Der Brief ist nicht auf Deutsch, sondern auf Russisch verfasst, der Hauptmann hat sich also erst in Russland eine Familie zugelegt. Er kam aber erst 1675 hierher, nur sieben Jahre vor dem angegebenen Datum.«
Der Magister sprang auf, er wollte sich in der Küche die Beine vertreten, war aber nach nur zwei Schritten schon an der Wand. Zerstreut gestikulierend, stand er unschlüssig herum und setzte sich dann wieder.
»Ein wahnsinnig interessantes Dokument! Da stellen sich viele Fragen. Er schreibt: ›so mich der Herr. . . abberufen und mir den Weg nach Moskau nicht geweyset‹. Das ist ein klarer Beleg für die Version, dass Cornelius den in Ungnade gefallenen Matfejew wirklich in die Verbannung begleitet hat und erst mit dem Bojaren zusammen wieder nach Moskau zurückgekehrt ist! Das ist keine Hypothese mehr, sondern eine Tatsache. Schon allein das langt als Stoff für eine Monografie!«
Altyn riss den Historiker brutal aus seinen wissenschaftlichen Höhenflügen und sagte:
»Zum Teufel mit deiner Monografie und deinem Matfejew! Erklär mir lieber, warum dein Ururgroßvater oder egal, was für ein Verwandter er nun ist, in solchen Rätseln schreibt: Theofels, dann dieser kinderreiche Heldenvater usw.«
Nicholas zuckte mit den Achseln:
»Offenbar wollte der Verfasser verhindern, dass ein Fremder
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