Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees
wirklich«, sagte ich. »Du meinst doch nicht, dass er sie wirklich umbringen würde .«
»Ich wär nicht überrascht, wenn er sie umbringen würde.«
Meine Arme erschlafften. Franklin Posey war der Mann mit der Taschenlampe, und er würde Rosaleen umbringen. Aber das hatte ich eigentlich auch schon gewusst, noch ehe T. Ray es gesagt hatte.
Er folgte mir die Treppen hinauf. Ich ging absichtlich langsam. In mir stieg allmählich Wut auf. Wie konnte er Rosaleen einfach so im Gefängnis lassen?
Als ich in mein Zimmer ging, blieb er im Türrahmen stehen. »Ich muss die Löhne für die Pflücker klar machen«, sagte er. »Wag ja nicht, dein Zimmer zu verlassen. Verstanden? Du bleibst hier sitzen und denkst darüber nach, was ich mit dir machen werde, wenn ich zurückkomm. Und denk gut darüber nach.«
»Du machst mir keine Angst«, sagte ich leise und atemlos.
Er hatte sich schon umgedreht, um zu gehen, aber jetzt fuhr er zurück. »Was hast du gesagt?«
»Du machst mir keine Angst«, wiederholte ich diesmal etwas lauter. In mir bahnte sich eine Art von Verwegenheit ihren Weg, ein mutiges Etwas, das bisher tief in meinem Innern verschüttet gewesen war.
Er trat auf mich zu und hob die Hand, als ob er mich ins Gesicht schlagen wollte. »Pass bloß auf, was du sagst.«
»Na los, versuch’s doch, schlag mich!«, rief ich.
Als er ausholte, drehte ich den Kopf zur Seite. Er verfehlte mich.
Ich lief zum Bett und kauerte mich in dessen Mitte. Ich atmete schwer. »Meine Mutter wird nicht zulassen, dass du mich auch nur noch einmal anfasst!«, schrie ich.
» Deine Mutter?« Sein Gesicht war puterrot. »Glaubst du, dieses verdammte Weib hätte sich einen Scheißdreck um dich gekümmert?«
»Meine Mutter hat mich geliebt!«, rief ich.
Er warf den Kopf zurück und gab ein gequältes, bitteres Lachen von sich.
»Das, das ist nicht komisch«, sagte ich.
Er schritt auf das Bett zu, stemmte seine Fäuste in die Matratze und kam mir mit seinem Gesicht so nahe, dass ich die kleinen Öffnungen sehen konnte, aus denen seine Bartstoppeln wuchsen. Ich rutschte rückwärts zu den Kissen und presste meinen Rücken gegen das Kopfende.
»Nicht komisch?«, brüllte er. » Nicht komisch? Ha, das is’ ja wohl das verdammt Komischste, was ich je gehört hab: Du glaubst im Ernst, deine Mutter ist dein Schutzengel.« Er lachte wieder. »Die Frau hat sich’nen Dreck um dich geschert.«
»Das ist nicht wahr!«, sagte ich. »Das ist nicht wahr.«
»Und woher willst du das wissen?«, sagte er und beugte sich zu mir. Seine Mundwinkel waren noch immer vom Lachen nach oben gezogen.
»Ich hasse dich!«, schrie ich.
Das Lächeln verschwand augenblicklich. Sein Körper verspannte sich. »Du verdammtes Miststück«, sagte er. Die Farbe wich aus seinen Lippen.
Plötzlich war mir eiskalt, als ob etwas Bedrohliches ins Zimmer geglitten wäre. Ich sah zum Fenster und spürte, wie mir ein Schauer den Rücken hinunterlief.
»Jetzt hör mir mal gut zu«, sagte er, und seine Stimme war entsetzlich ruhig. »Die Wahrheit ist, deine lausige Mutter ist abgehauen und hat dich hier gelassen. An dem Tag, an dem sie gestorben ist, kam sie nur zurück, um ihre Sachen zu holen, und sonst gar nichts. Du kannst mich hassen, soviel du willst, aber sie , sie hat dich im Stich gelassen.«
Im Zimmer wurde es vollkommen still.
Er zupfte etwas von seinem Hemd und ging zur Tür.
Als er weg war, saß ich völlig regungslos da. Ich zeichnete nur die Lichtstrahlen auf meinem Bett mit den Fingern nach. Das Donnern seiner Stiefel auf den Treppenstufen wurde schwächer, und ich zog die Kissen unter der Decke hervor und stopfte sie um mich, als ob ich mir eine Burg bauen wollte, die mich vor seinem Ansturm schützen würde. Ich konnte ja verstehen, dass sie ihn verlassen wollte. Aber mich ? Den Gedanken könnte ich nicht ertragen.
Das Bienenglas stand auf dem Tisch neben dem Bett, es war leer. Irgendwann im Laufe des Tages waren die Bienen wohl weggeflogen. Ich griff hinüber und nahm das Glas in meine Hände, und endlich kamen mir die Tränen, die ich so lange unterdrückt hatte, jahrelang, wie mir schien.
Deine lausige Mutter ist abgehauen und hat dich hier gelassen. An dem Tag, an dem sie gestorben ist, kam sie nur zurück, um ihre Sachen zu holen, und sonst gar nichts.
Lieber Gott, mach, dass er das zurücknimmt.
Die Erinnerung überfiel mich. Der Koffer auf dem Boden. Sie streiten. Meine Schultern fingen an, komisch und unbeherrscht zu zucken. Ich presste das
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