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Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees

Titel: Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Monk Kidd
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ans Telefon gegangen wäre - und nicht May.
    Ich erinnere mich, dass Augusta noch aufstand, um ans Telefon zu gehen, aber May war näher an der Tür. »Ich geh schon«, sagte sie. Niemand dachte sich etwas dabei. Wir starrten wie gebannt auf den Fernseher, dort mussten Affen in kleinen Autos über ein hohes Seil fahren.
    Als May einige Minuten später wieder ins Zimmer kam, irrten ihre Augen im Zickzack über unsere Gesichter. »Das war Zachs Mutter«, sagte sie. »Warum habt ihr mir nicht gesagt, dass er im Gefängnis ist?«
    Sie sah so normal aus, als sie dort stand. Einen Augenblick lang rührte sich niemand von uns. Wir beobachteten sie, als ob wir darauf warteten, dass sie zusammenbrechen würde. Aber May stand einfach nur da, so ruhig, wie irgend möglich.
    Ich fing an zu glauben, dass vielleicht eine Art Wunder geschehen war, dass sie vielleicht sogar geheilt war.
    »Alles in Ordnung?«, sagte Augusta und stand auf.
    May antwortete nicht.
    »May?«, fragte June.
    Ich lächelte sogar noch zu Rosaleen hinüber und nickte ihr zu: Siehst du auch, wie gut sie das aufnimmt?
    Augusta aber schaltete den Fernseher aus und sah May genau an. Mays Kopf lag auf der Seite, ihre Augen waren auf das Stickbild eines Vogelhauses gerichtet, das an der Wand hing. Dann merkte ich, dass ihre Augen das Bild gar nicht ansahen. Ihre Augen waren vollkommen glasig.
    Augusta ging zu May. »Antworte mir. Geht es dir gut?«
    In der Stille hörte ich, wie Mays Atem laut und unruhig ging. Sie machte ein paar Schritte zurück, bis sie gegen die Wand stieß. Dann rutschte sie hinunter auf den Boden, ohne einen Laut von sich zu geben.
    Ich bin nicht sicher, wann mir klar wurde, dass May sich an einen unerreichbaren Ort tief in ihrem Innern zurückgezogen hatte. Selbst Augusta und June begriffen es nicht sofort. Sie riefen May, als ob sie taub geworden wäre.
    Rosaleen beugte sich über May und sprach mit lauter Stimme, sie versuchte, zu ihr durchzudringen. »Mit Zach geht alles klar. Mach dir keine Sorgen deshalb. Mr. Forrest holt ihn Mittwoch aus’m Gefängnis raus.«
    May starrte einfach nur geradeaus, als ob Rosaleen gar nicht da wäre.
    »Was ist mit ihr passiert?«, fragte June, und ich hörte Panik in ihrer Stimme. »So habe ich sie noch nie gesehen.«
    May war da, aber nicht bei uns. Ihre Hände lagen schlaff im Schoß, die Handflächen nach oben. Nichts war wie sonst. Sie weinte nicht in ihr Kleid. Sie wiegte sich nicht vor und zurück. Sie zog nicht an ihren Zöpfen. Sie war so ruhig, so völlig anders.
    Ich drehte mein Gesicht zur Decke, ich konnte es nicht mit ansehen.
    Augusta ging in die Küche und kam mit einem Handtuch voller Eis zurück. Sie zog Mays Kopf zu sich heran, so dass er für kurze Zeit an ihrer Schulter lag, dann hob sie das Gesicht ihrer Schwester an und drückte das Handtuch auf Stirn und Schläfen und Nacken. Sie tat das mehrere Minuten lang, dann nahm sie das Handtuch weg und tätschelte Mays Wangen.
    May blinzelte ein oder zwei Mal und sah Augusta an. Sie sah uns alle an, die wir uns um sie herum drängten, so als ob sie von einer langen Reise zurückkehren würde.
    »Fühlst du dich besser?«, fragte Augusta.
    May nickte. »Es wird schon.« Die Worte kamen in einer eigenartig tonlosen Stimme aus ihr heraus.
    »Nun, ich bin froh, dass du sprechen kannst«, sagte June. »Komm, wir bringen dich in die Badewanne.«
    Augusta und June zogen May hoch.
    »Ich geh zur Mauer«, sagte May.
    June schüttelte den Kopf. »Es wird schon dunkel.«
    »Nur für eine kleine Weile«, sagte May. Sie ging in die Küche, wir alle folgten ihr. Sie machte eine Schranktür auf, nahm eine Taschenlampe heraus, ihren Block, einen Bleistiftstumpen und ging hinaus zur Veranda. Ich stellte mir vor, wie sie ihren Kummer aufschreiben würde - Zach im Gefängnis - und wie sie den Zettel dann in einen Spalt in ihrer Mauer stecken würde.
    Ich dachte, irgendjemand sollte sich bei jedem einzelnen Stein da draußen bedanken, dafür, dass sie all das Elend der Menschen bei sich aufnahmen. Wir sollten sie der Reihe nach küssen und sagen: Es tut uns wirklich Leid, aber irgendetwas Starkes und Beständiges muss das doch für May tun, und ihr seid nun einmal die Auserwählten. Gott segne eure steinernen Herzen.
    » Ich komme mit dir«, sagte Augusta.
    May sprach über die Schulter: »Nein, Augusta, bitte nicht, ich will alleine gehen.«
    Augusta wollte widersprechen. »Aber...«
    »Ich gehe allein«, sagte May und drehte uns das Gesicht zu. »Ganz

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