Die Bleiche Hand Des Schicksals
mittlerweile zu alt für die Armee. Nein, nicht zu alt. Zu …«, sie dachte nach. »Ich habe viel von meiner Fähigkeit eingebüßt, mich unterzuordnen und Befehlen zu folgen.«
Er lachte. »Ich kann mir kaum vorstellen, dass diese Fähigkeit bei Ihnen je sonderlich ausgeprägt war.«
»Da haben Sie’s.« Sie schaltete hoch. »Vermutlich würde ich Missionsarbeit leisten. Die Hungrigen speisen, die Nackten kleiden, so was in der Art. Etwas tun, um anderen das Leben zu erleichtern – für mich schien das immer der Kern zu sein.«
»Was ist mit dem Fliegen? Sie wissen schon, das Priesterdasein vollständig aufgeben. Für jemanden mit Ihrer Erfahrung muss es doch eine ganze Menge Möglichkeiten geben.«
Sie lachte. »Man kann nicht aufhören, Priester zu sein. Ich meine, klar, man kann aufhören, als Priester zu arbeiten. Man kann von seinem Bischof aus der Diözese geworfen werden. Aber die Weihe ist auf ewig. Wie eine Taufe. Man kann sie nicht zurücknehmen.« Sie warf ihm einen Blick zu. »Wie steht es mit Ihnen?«
»Wie steht was mit mir?«
»Was würden Sie tun, wenn Sie nicht den Stuhl im Revier gesichert hätten?«
Er nahm seine Brille ab und fischte ein Tuch aus seiner Tasche. »Nachdem ich den Dienst bei der Armee quittiert hatte, gab es eine Menge Angebote für die Leitung von privaten Sicherheitsdiensten.«
»Ich kann mir kaum vorstellen, dass Sie einen Polizistenverleih betreiben.«
»Ich mir auch nicht.« Er putzte seine Brille und knüllte das Tuch zusammen. Sie blickte wieder zu ihm hinüber und stellte fest, dass er sie ansah. »Ich würde das hier machen. Diese Arbeit. Hier gehöre ich hin.«
Sie bog auf die Old Route 100 ein. »Das ist der richtige Weg, oder?«
»Aber sicher.«
Die nächsten Minuten vergingen schweigend. »Ich glaube, das ist der eigentliche Unterschied zwischen uns«, meinte sie schließlich. »Sie wissen, dass Sie am richtigen Ort sind. Das Richtige tun. Mit der richtigen Person.« Er wandte den Blick ab. »Diese Gewissheit habe ich nicht. Ich hatte geglaubt, meine Berufung würde sie mir verleihen. Aber so ist es nicht.«
»Ich bin Ihnen vierzehn Jahre voraus«, sagte er und sah weiter aus dem Fenster. »Ich hatte mehr Zeit, um mir über die Dinge klar zu werden.« Er zeigte nach vorne. »Verpassen Sie nicht die Abzweigung.«
Sie bremste ab und fuhr mit gemäßigter Geschwindigkeit zum Stausee hoch. Die Straße wand und krümmte sich, auf und ab.
»Dort.« Er zeigte auf einen breiten, geräumten Pfad zwischen den Bäumen. Sie befanden sich eine knappe halbe Meile vor der Unfallstelle. »Das ist die Schneise für das Boot. Von dort aus arbeitet die Tauchmannschaft.«
Sie quälte den Pick-up den Pfad entlang, knirschte über die letzten Reste von vereistem Schnee, die Reifen platschten über den vollgesogenen Boden. Die Bäume öffneten sich auf eine Lichtung von der Größe eines kleinen Parkplatzes, auf dem sich ein Krankenwagen, der Tauchlaster der State Police, ein Streifenwagen und zwei Zivilfahrzeuge drängten.
Sie sah zwei Männer, der eine in Uniform, der andere stützte sich auf einen Spazierstock, die vor einer Art Aluminiumdock standen. Sie parkte so nah wie möglich und musterte dabei die schweren grauen Wolken, die sich am Himmel sammelten. Russ würde die Strecke schwer genug fallen, auch ohne dass er durch den Regen wandern musste. »Bleiben Sie sitzen«, sagte sie, während sie den Motor abstellte. »Ich helfe Ihnen runter.«
»Das kann ich allein.«
»Da bin ich sicher. Aber wenn Ihre Krücken im Schlamm steckenbleiben und Sie beim Aussteigen auf die Nase knallen, büßen Sie einiges von Ihrem Nimbus als Strafverfolger ein.«
Er grunzte, als sie die Tür öffnete, aber er reichte ihr seine Krücken und stützte sich auf ihre Schulter, während er sich aus der Fahrerkabine hinunterließ. Sie gab ihm die Krücken zurück, als er auf dem Boden stand. »Danke«, sagte er.
Er ergriff ihren Arm, ehe sie sich entfernen konnte. »Diese Gewissheit«, sagte er.
»Was?«
»Habe ich nicht. Ich bin mir über viele Dinge nicht gewiss. Ich weiß nur, wohin ich gehöre.«
Sie gingen dorthin, wo die Männer standen. Clare verkürzte ihren üblichen raumgreifenden Schritt, um Russ nicht zu überholen. Als sie sich näherten, drehte sich der Mann mit dem Stock zu ihnen um. Er war klein und gedrungen, seine kurzgeschnittenen grauen Haare schimmerten fast im selben Farbton wie sein teurer Wollmantel, und er hätte elegant gewirkt, wäre da nicht die seilartige
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