Die Bleiche Hand Des Schicksals
wir auch persönliche Dinge ansprechen, deshalb stürze ich mich einfach kopfüber hinein.« Er dämpfte die Stimme. »Haben Sie einen finanziellen Engpass? Weil …«
»Die Lebensversicherung pleite gegangen ist, ja, ich weiß. Ich habe Ihren Brief bekommen und einen weiteren von denen, und ich habe keinen der beiden vergessen. Nein, ich stehe nicht vor einer verarmten Farm.« Sie sah an ihrem unmodernen Kleid hinunter. »Obwohl ich annehme, dass dies ein weiteres Thema ist, über das die Leute in der Stadt gern spekulieren. In Wahrheit halte ich wie ein Schotte alles Geld zusammen, weil ich meine Tochter aufs College schicken will.«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Ein löblicher Ehrgeiz.« Er berührte die Akte auf seinem Tisch. »Ihnen ist bewusst, dass ein Antrag beim Nachlassgericht auf die gesetzliche Feststellung von Jonathons Tod nicht billig werden wird? Allein mein Honorar beträgt einhundert Dollar, und es könnten sehr wohl noch höhere Kosten und Gebühren hinzukommen, je nachdem, wie lange es dauert.«
Sie nickte. »Ich weiß. Ich habe mich bei Ihrer Sekretärin nach Ihrem Honorar erkundigt, als ich einen Termin vereinbart habe.«
»Schließen sich Mr. und Mrs. Ephraim Ketchem dem Antrag an? Um Sie bei den Kosten zu unterstützen?«
»Nein.« Ihr Gesicht wurde ein wenig weicher. »Sie hoffen bis heute, dass er eines Tages wieder auftaucht. Gott weiß, dass ich ihre Gefühle verstehen kann. Nichts ist so schlimm wie der Tod des eigenen Kindes, und wenn sie weiterhin so tun können, als sei er noch am Leben …« Sie zuckte die Achseln. »Es ist ihnen ein Trost.«
Ein schlechter, schwacher Trost, dachte Niels. »Fürchten Sie nicht, ihnen diesen Trost zu nehmen, wenn es Ihnen gelingen sollte, Jonathon für tot erklären zu lassen?«
Sie schloss einen Moment die Augen. Er konnte die Anfänge zarter Falten erkennen, das leichte Nachgeben, wo eines Tages ihre Lider herabhängen würden. Er erschrak, als sie die Augen aufschlug und ihn direkt anstarrte. »Ich liebe Mutter und Vater Ketchem sehr, und ich würde sie um nichts in der Welt verletzen wollen. Aber ich sage seit sieben Jahren, dass mein Mann tot ist. Ich habe es Chief McNeil am Tag nach Jonathons Verschwinden gesagt, und ich wusste damals genau wie heute, dass es die Wahrheit ist. Sie haben sich entschieden, etwas anderes zu glauben. Ich glaube, nichts, was ich tue, könnte ihre Meinung ändern.«
»Was ist mit Ihrer Tochter?«
»Ihr Vater verschwand, als sie noch nicht einmal sechs Jahre alt war. Zuerst fehlte er ihr schrecklich, aber für ein Kind sind sieben Jahre eine Ewigkeit. Ich kann mich nicht erinnern, wann sie ihn das letzte Mal erwähnt hat. Und jetzt kommt sie in ein Alter, in dem ihr der Klatsch zu Ohren kommen kann, und er könnte sie verletzen, und ich will nicht, dass sie durchmacht, was ich durchmachen musste.« Sie ließ ihre Handtasche in den Schoß fallen und beugte sich vor, die Hände um die Schreibtischkante geklammert. »Sieben Jahre lang war ich weder Fisch noch Fleisch. Weder Witwe noch Ehefrau. Jede einzelne Seele in Millers Kill hat mich entweder bemitleidet, weil mein Mann uns verlassen hat, oder sich gefragt, was ich getan habe, um ihn zu vertreiben. Ich kann weder mit meinem Schwager eine Tasse Kaffee trinken noch Father Wallace besuchen, ohne dass sich die ganze Stadt das Maul zerreißt. Meine Freundin Nain hat einmal mitgehört, wie Tilda Van Krueger beim Kosmetiker gesagt hat, dass ein abwesender Ehemann mächtig praktisch wäre, denn wenn ich schwanger würde, könnte ich ja behaupten, er wäre auf einen Sprung vorbeigekommen.« Sie holte tief Luft. »Ich will meinen guten Ruf zurück, Mr. Madsen. Ich will in der Lage sein, meinem Mann einen Gedenkstein zu errichten und ihn ein für alle Mal zu begraben.«
Auf dem Weg zum Mittagessen mit seiner Familie dachte Niels Madsen über seine Mandantin nach. Vor der Zufahrt zu seinem großen, geräumigen und bequemen Haus blieb er stehen und dachte daran, wie sie sich ein eigenes Dach über dem Kopf erhielt, statt zu ihren Eltern oder Schwiegereltern zu ziehen, wie so viele andere Frauen es tun würden. Und als Marion, seine Älteste, mit der Andeutung eines Kusses und einem über die Schulter geworfenen »Ich bin bei Helen« an ihm vorbeitanzte, dachte er an die Schwierigkeiten, denen sich die alleinerziehende Mutter eines heranwachsenden Mädchens gegenübersah.
Im Esszimmer erkundigte er sich, nach dem von Herzen kommenden Dank für den guten Lammeintopf und
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