Die Blendende Klinge
glatt in sie verlieben können. Auch das wusste sie. Sie hatte vorhin nicht gelogen; sie hatte wirklich versucht, diese Anziehung als eine rein sexuelle erscheinen zu lassen – so dass nicht die Gefahr von etwas Tieferem bestand.
Während kristalline Flocken sie umwirbelten, winzige Partikel der Ordnung im Chaos, spähte Gavin in die Nacht hinaus, als könne er deren Mysterien enträtseln. »Ihr und ich – wir wären wohl ein ziemliches Fiasko, hm?«
Sie lächelte. Volle, rote Lippen, perfekte Zähne. Nickte, hielt seinem Blick stand. Ein bedauerndes Zucken umspielte ihre Mundwinkel. »Die Katastrophe.« Sie sah ihn wohlwollend an, aber doch eher so, als verabschiede sie sich von der Aussicht, mit ihm ins Bett zu steigen. »Hier noch eine Prophezeiung für Euch, Lord Prisma – in dem Stil, den Ihr ja so sehr liebt: Seid vor Mittag da. Drei Stunden nach Osten, zweieinhalb Stunden nach Norden.«
Klang hinreichend einfach. Das gefiel ihm. Und dann begriff Gavin, dass sie ihm nicht gesagt hat, von wo aus er nach Norden und Osten gehen musste. Er fragte: »Damit werde ich wohl nur im Rückblick etwas anfangen können, nicht?«
Sie lächelte geheimnisvoll.
»Ihr genießt das, stimmt’s?«, fragte er weiter.
»Ungeheuer.«
»Ich habe mit Prophezeiungen eigentlich nie viel anfangen können«, bemerkte Gavin.
»Ich weiß«, erwiderte sie. »Das war mit das Erste, was ich gemerkt habe, als ich Euch sah. Was ist passiert?«
»Passiert? Ich habe Prophezeiungen irgendwie immer für … Oh, wartet, da war etwas. Als ich ein Junge war und mein Bruder aufhörte, mit mir zu spielen, fand ich ein paar Prophezeiungen in alten Büchern, und ich habe davon geträumt, sie entziffern zu können. Da war diese eine: Wie ging sie noch gleich?«
Er stellte die Frage an sich selbst, aber das Dritte Auge sagte leise:
»Von roter Schläue, der jüngste Sohn,
Wird spalten Vater und Vater und Vater und Sohn.«
»Woher wisst Ihr …?«, fragte er.
»Ich sehe diese Zeilen in grellem Feuer über Eurem Kopf brennen, Lord Prisma. Wie habt Ihr sie interpretiert?«
»Der jüngste Sohn von roter Schläue – der jüngste Sohn des roten Guile –, der jüngste Sohn des Guile, der der Rote wird. Also Andross Guiles jüngster Sohn. Es ist eine Prophezeiung über meinen jüngeren Bruder, Sevastian.«
»Und dann ist er gestorben. Ermordet.«
»Von einem Blauwicht. Er war alles, was gut war an meiner Familie, ohne all das Schlechte. Wenn er noch lebte, wäre alles anders.« Er schüttelte den Gedanken ab. »Eure Prophezeiungen sind anders. Ich meine, sie sind aufreizend vage. Von der letzten einmal abgesehen.« Er grinste. »Woran liegt das?«
Sie berührte nachdenklich ihr drittes Auge. »Auch ich bin nur ein Mensch, Gavin. Meine Gabe wurde mir ohne ein Regelwerk zu ihrem Gebrauch zuteil. Ich improvisiere. Und reime mir dabei so alles Mögliche zusammen. Aber ich verspüre die gleichen Versuchungen, die gewiss auch all meine Vorgängerinnen verspürt haben: wichtig zu sein, jenen zu helfen, die ich liebe, und jenen zu schaden, die ich hasse, fast wie ein Gott betrachtet zu werden, andere zu leiten und geliebt zu werden – oder eben zu sagen, zum Teufel damit, ich bin nicht verantwortlich für diese verdammte Geschichte, und einfach auf alles zu scheißen, was ich sehe. Ich halte den Mund, wenn ich mir nicht sicher bin. Ich denke, andere haben mehr gesprochen, aber noch stärker in Rätseln, in der Hoffnung, dass niemand sie verantwortlich machen würde, wenn die Sache schiefging. Und natürlich hat es auch Schwindler gegeben: Seher, die überhaupt keine Seher waren.«
»Könnt Ihr mir sagen, ob diese Prophezeiung ein Schwindel war?«
»Ich wüsste nicht einmal, wo ich anfangen sollte zu suchen.«
»Ihr habt gesagt, Ihr würdet sie in grellem Feuer über meinem Kopf sehen«, entgegnete Gavin. »Wäre das nicht ein Anfangspunkt?«
»Ich habe die Worte für einen Moment gesehen, ja. Das bedeutet nicht, dass sie wahr sind.«
»Ihr seid so übertrieben ehrlich, dass es einen schwindelt«, sagte Gavin.
»Das will ich nicht hoffen«, erwiderte sie. Sie grinste, ein verschlagenes, neckendes Zucken um ihre vollen Lippen.
Gavin hätte ihr am liebsten die Kleider vom Leib gerissen.
Er wandte den Blick ab und räusperte sich. »Gute Nacht, meine Liebe, und, ähm, jetzt, da wir beschlossen haben, miteinander keinen höchst wonnevollen Fehler zu begehen, hoffe ich, dass es uns gelingt, unsere nächste Begegnung weniger … angespannt
Weitere Kostenlose Bücher