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Die Blendende Klinge

Die Blendende Klinge

Titel: Die Blendende Klinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
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zum Spektrum zu bringen. Bitte öffnet die Tür, Herr.«
    Danke für die Warnung, alter Freund.
    Wenige Momente später schlossen die Schwarzgardisten auf. Sie hatten natürlich Schlüssel. Eisenfaust führte sechs Mann herein. »Seht auf dem Balkon nach«, befahl er.
    Gavin schlich sich direkt hinter ihnen durch die offene Tür. Der durch das offene Fenster und den Flur blasende Wind ließ seinen Umhang um seine Beine flattern. Aber keiner sah etwas. Er gelangte unbemerkt auf den Flur.
    Statt sich zum Aufzug zu begeben, ging er nun in die andere Richtung, hin zu den Stufen, die aufs Dach hinausführten. Er öffnete die Tür einen Spalt, kämpfte mit einer weiteren plötzlichen Bö und schlüpfte rasch nach draußen.
    Es war noch immer Stunden vor Sonnenaufgang. Gavin setzte sich auf eine Bank außer Sichtweite der Tür. Bevor er etwas unternahm, musste er sich erst einen Überblick darüber verschaffen, wie schlimm seine Lage war. Aber hier zu sitzen und nachzudenken war gefährlich.
    Gütiger Orholam, er hatte dieses dumme Mädchen ermordet. Er rieb sich das Gesicht. Er wünschte, er würde sich elender fühlen, aber es war nicht sein erster Mord. Er hatte jedes Jahr viele Menschen in diesem verdammten barbarischen Ritual ermordet – ihre Sünden vernommen und ihnen dann das Messer ins Herz gejagt. Was bedeutete da ein weiteres Menschenleben?
    Wenn er einen genaueren Blick auf dieses Mädchen hätte werfen können, er wäre zweifellos auf irgendeine bemitleidenswerte Geschichte gestoßen. Etwa, dass Anas Familie am Rande des Ruins stand und Ana gehofft hatte, sie retten zu können, wenn sie ihn verführte. Oder dass sein Vater sie dazu erpresst hatte, in Gavins Bett zu schlüpfen, damit er dann wiederum Gavin erpressen konnte. Hatte Andross nicht gesagt, dass Ana auf der Liste der Bewerberinnen für eine Hochzeit gestanden hatte? Oder … es spielte keine Rolle, was sie getan und warum sie es getan hatte; wie sie an seinen Wachen vorbeigekommen war. Es könnte eine Verschwörung gewesen sein; wahrscheinlich steckten einfach Missverständnisse und mangelnde Erfahrung dahinter.
    Aber Gavin verlor für gewöhnlich nicht derart die Kontrolle über sich. Er war nüchtern, logisch. Bei Orholam, Gavin war ein ganzer, gesunder Mensch. War. War es gewesen.
    Nicht mehr.
    Er hatte Blau verloren. Das war nicht nur eine magische Tatsache, womöglich war es genauso auch eine persönliche. Er hatte die kalte, harte, leidenschaftslose Sachlichkeit des Blaus verloren. Es hatte keinen Grund gegeben, das Mädchen zu töten, nur Leidenschaft und Hass hatten ihn dazu getrieben. Leidenschaft und Hass, die durch die Vernunft nicht mehr gezügelt wurden.
    Der Verlust seiner Kräfte war nicht nur ein Verlust der Macht; Gavin selbst wurde dadurch weniger. Hatte weniger Kontrolle, war weniger intelligent, weniger Mann, weniger Mensch.
    Er hatte ein Mädchen von seinem Balkon geworfen. Welcher Mann tat so etwas? Er hatte es nicht tun wollen – aber das spielte keine Rolle. Er hatte es getan. Und vielleicht hatte er es ja doch tun wollen.
    Und er hatte Karris verloren. Sie war zu mitternächtlicher Stunde in sein Zimmer gekommen, gekleidet, als wolle sie mit ihm schlafen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Orholam sei gnädig. Er wusste nicht, was mit ihr vorgegangen war, warum sie gerade jetzt gekommen war, wo sie beide doch über Monate hinweg jede Möglichkeit gehabt hätten. Aber sie war gekommen. Alles wäre wunderbar gewesen, wenn er nur irgendetwas anders gemacht hätte – hätte er nur gegenüber den Wächtern nicht seinen Charme spielen lassen und ihnen gesagt, dass er sich nach Gesellschaft sehne; wäre er nur früher aufgewacht, hätte er eine unbekannte Frau dann nicht vielleicht daran gehindert, ihn zu besteigen?
    Ich habe das gesehen, was ich sehen wollte, so wie ich es immer tue. Und meine Selbsttäuschung hat mich um die wirkliche Erfahrung gebracht.
    Er fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis er Gelb verlor. Bis er all die übrigen Farben verlor. Es waren noch acht Monate bis zur nächsten Befreiung. Als er festgestellt hatte, dass er Blau verloren hatte, hatte er noch geglaubt, so lange durchhalten zu können. Aber das würde nicht passieren, das wusste er jetzt.
    Er dachte an seine Ziele.
    Lucidonius, war die Lage für dich auch so trostlos, als dich die Ur im Hasstal gefangen nahmen? Sind dir da Selbstzweifel gekommen? Oder warst du so entschlossen, wie es die Geschichten berichten? Warst du nur ein Mensch?

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