Die Blendende Klinge
fair: Das erste Spiel spielen wir noch ohne Einsatz.«
»Keiner wird es sagen«, erwiderte Kip. Er griff nach seinem Kartendeck und wurde sogleich einmal mehr daran erinnert, wie anders die Welt war, in die er hier hineingeraten war. Je nachdem, wie ernsthaft das Spiel betrieben wurde, gab es viele verschiedene Varianten von Neun Könige. Es gab über siebenhundert Karten, aus denen jeder Spieler sein eigenes Deck wählte. In Dörfern wie Rekton mochten durchreisende Soldaten ein Deck haben, das ein kleinstädtischer Künstler entworfen hatte. Die Hauptanforderung dort war, dass die Karten keine Markierungen auf der Rückseite hatten, mittels deren die Spieler mogeln und die Karten ihrer Wahl ziehen konnten. Edelleute spielten mit Karten, die Künstler und Wandler in einer der sechs Niederlassungen der Kartengilde gemeinsam angefertigt hatten. Diese Karten waren wunderschön gezeichnet und mit blauem Luxin lackiert, was garantierte, dass jede Karte einzigartig war.
Diese hier waren wieder andere Karten. Jede Karte war aus Elektron – einer natürlichen Legierung aus Gold und Silber. Jede Stärke und Fähigkeit war mit Ziffern in parianischer Keilschrift verzeichnet und jede Karte mit meisterhafter Kunst geschmückt und eigens signiert. In einige waren winzige Juwelen eingelegt. Alle waren mit perfektem, kristallinem gelbem Luxin versiegelt. Edelsteinbesetzte Astragal-Würfel, elfenbeinerne Spielmarken und Sanduhren aus Buntglas vervollständigten das Set.
Kip versuchte, dem Schatz in seinen Händen keine weitere Beachtung zu schenken, und mischte unbeholfen die Karten.
»Wie hast du dich zum Krüppel gemacht?«, fragte Andross Guile, der geschickt seine eigenen Karten mischte.
Kip war überrascht, dass der alte Mann fragte. »Ich bin ausgeraubt worden. Ich habe gekämpft, und jemand hat mich in ein Feuer gestoßen. Ich habe mich damit abgefangen.« Kip hielt die Hand in die Höhe, dann wurde ihm bewusst, dass er sie einem Blinden hinhielt. »Ähm, mit meiner Hand. Das Holz war noch heiß.«
»›Noch heiß‹?«
»Oh, ich habe das Feuer gewandelt, als ich gegen sie kämpfte.«
Andross Guile murmelte ein »Hm«.
Sie spielten, und Kip verlor mit Pauken und Trompeten, weil er sich nur bruchstückhaft an die Regeln erinnerte. Er konnte die parianischen Zahlen kaum entziffern, denn er hatte sie bisher nur einmal gesehen: an der Kleidung der Frischlinge der Schwarzen Garde, als er sich seinen Platz hatte erkämpfen müssen. Andross dagegen spielte blind. Seine Karten hatten kleine Erhebungen auf der Vorderseite, die ihn wissen ließen, welche Karte er vor sich hatte. Es war kein Mogeln, und es gab ihm keinen Vorteil an die Hand, aber es verriet Kip, dass die Schöpfer der Karten sie eigens für Andross Guile angefertigt hatten.
Kein Wunder, dass Kip Andross nicht im Geringsten hatte gefährlich werden können. Der Alte nahm sein Spiel sehr ernst.
Dennoch blieb sein Gesicht ausdruckslos. »Noch eine Runde. Diesmal mit Einsatz.«
»Was ist denn der Einsatz?«, erkundigte sich Kip.
»Er ist hoch«, antwortete der alte Mann.
»Ich habe kein Geld«, sagte Kip.
»Ich weiß, was du hast.«
Kip dachte sofort an den Dolch. Beschloss, den Gedanken wieder wegzuschieben. Beschloss zu antworten, als sei doch ganz offensichtlich, dass er gar nichts hatte. »Worum werden wir denn dann spielen?«
»Das wirst du merken, wenn wir fertig sind. Spiele, um zu gewinnen.«
Kip holte tief Luft und spielte beim zweiten Mal besser, wurde aber trotzdem chancenlos niedergemacht. Als sein letzter Astragal-Würfel die Null zeigte, lehnte sich Andross Guile zurück und faltete die Hände über seinem kleinen Bauch.
»Heute hast du bei einer kleinen Gruppe von jungen Leuten gesessen, die sich die Ausgestoßenen nennen. Unter ihnen war ein Mädchen namens Tiziri. Man hat beobachtet, dass du keine engere Verbindung zu ihr hergestellt hast.«
Kip erinnerte sich an sie. Das reizlose Mädchen an ihrem Tisch. Breites Lächeln, übergewichtig, Muttermal auf dem Gesicht. »Was habt Ihr vor?«, fragte Kip.
»Ihre Eltern haben sechs ihrer fünfzehn Rinder verkauft, um ihr die Schiffspassage zur Chromeria zu bezahlen. Sie fährt morgen nach Hause zurück. Deinetwegen.«
»Was? Warum? Das ist Unsinn. Das ist nicht fair!«
»Du hast verloren«, sagte Andross Guile. »Wir spielen bald wieder. Das nächste Mal wird der Einsatz höher sein.«
30
»Und Ihr«, sagte das Dritte Auge und drehte sich zu Karris um. »Die Gattin. Ihr seid auch nicht
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