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Die Blütenfrau

Die Blütenfrau

Titel: Die Blütenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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gesehen, Allegra, dreizehn Jahre jung, nackt und kaltblütig ermordet, die Eltern sind fast verrückt vor Trauer. Und während meiner Ausbildung in Bremen habe ich einige Kinder vernommen, die Opfer von Missbrauch geworden sind. Ich kann und will hier keine Entschuldigungen für Menschen hören, die so etwas getanhaben. Nicht zuletzt, weil ich selbst Mutter bin und nicht daran denken mag, dass meinem Sohn so etwas   …» Sie ließ den Satz unvollendet.
    «An dieser Stelle kommen immer alle ins Stocken», sagte Esther Vanmeer fast traurig. «Selbst die vernünftigsten Menschen schalten hier ab. Ich hätte es vor fünf Jahren wahrscheinlich noch genauso getan.»
    «Das Thema ist widerlich, es ist beängstigend. Auch wenn ich bei meiner Arbeit bereits damit konfrontiert werde, ich will mir das noch nicht mal vorstellen müssen   …»
    «Aber es ist nun mal die Realität. Es gibt Menschen, die auf Kinder als Sexualpartner fixiert sind. Wer sich hier blind stellt, macht es genau denen leicht, die sich in der Heimlichkeit verstecken und dann tatsächlich ihre Triebe ausleben.»
    Wencke erinnerte sich: In der Polizeischule war der Umgang mit Sexualstraftätern einige Wochen lang Thema gewesen. Sie hatten sich in der Theorie mit den abscheulichsten Verbrechen auseinandersetzen müssen, hatten grauenhafte Protokolle gelesen und schreckliche Fotografien angeschaut. Und obwohl sie sich als Polizistin um die Einhaltung der gegebenen Gesetze kümmerte, hatte sie mehr als einmal gedacht: Man sollte diese Schweine alle lebenslang hinter Gitter bringen, man sollte sie kastrieren und die Todesstrafe wieder einführen.
    Das war eine sehr emotionale Reaktion gewesen, das wusste Wencke. Die rationale Sichtweise machte natürlich auch ihr deutlich, dass es niemandem half, mit Hass, Wut und Rache auf Sexualstraftäter zu reagieren. Doch Verständnis aufzubringen, so wie es Esther Vanmeer hier indirekt forderte, das war für Wencke zu viel des Guten.
    Die Frau ließ allerdings nicht locker. «Schauen Sie, ich erkläre es gern so: Eine pädophile Neigung ist im Prinzip die Voraussetzung für ein Verbrechen. Da stimmen Sie mir sicherzu. Genau wie Schulden. Sagen wir, ein Mann ist durch unglückliche Umstände zu sehr hohen Schulden gekommen, die ihm das Leben unerträglich erscheinen lassen. Nun kann er Folgendes tun: Entweder er geht zur Schuldnerberatung, nimmt einen zusätzlichen Job an, hält sich an drastische Sparmaßnahmen und gönnt sich nicht den kleinsten Luxus. Dann ist er mit viel Glück und nach endlosen Jahren schuldenfrei. Oder er überfällt eine Bank, mischt in lukrativen, aber unseriösen Geschäften mit oder beutet andere aus. Dann ist er schneller aus den roten Zahlen und kann sich vielleicht auch zwischendurch mal ein neues Auto oder einen Urlaub leisten   …»
    Wencke verstand. «Sie meinen, nicht jeder Pädophile stellt automatisch eine Bedrohung dar? Und wenn die Gesellschaft jeden Pädophilen hinter Schloss und Riegel sehen will, dann könnte sie genauso gut jeden Schuldner festnehmen?»
    «Nicht jeder Gärtner ist immer auch ein Mörder.»
    Sie schwiegen eine Weile. Wencke trank ihr Glas leer. Was diese Blütenfrau ihr eben erzählt hatte, warf ein anderes Licht auf den Mordfall Allegra Sendhorst. Würde ein Pädophiler, wie Gernot Huckler es war, einen Mord begehen? Wenn er Kinder wirklich so sehr liebte – und wahrscheinlich liebte er sie mehr, als ihm lieb war   –, würde er dann so etwas Grausames tun? Würde er ein halbes Dutzend hungriger Blutegel auf den unversehrten Körper eines Mädchens loslassen? Es war Wenckes Kopf, der die Fragen stellte. Wenckes Bauch antwortete mit Nein.
    Hinter dem Mord musste etwas anderes stecken.
    Axel kam um die Ecke. Er hatte die Jeansjacke über den Arm gelegt, machte aber keine Anstalten, das Kleidungsstück an Wencke zu übergeben. Es war offensichtlich, dass er nur für ein paar Minuten fortgeschickt worden war. «Ich störe ja nur ungern, aber die Kollegen aus Aurich habengerade angerufen. Ein Besucher wartet auf dich in deinem Büro.»
    «Oh, ja, das wird der Psychologe sein. Sag ihnen, wir sind hier so weit fertig. Ich bin so bald wie möglich da.» Wencke stand auf und klopfte sich ein paar Blütenblätter von der Hose, die sich im Laufe des Gesprächs auf ihr niedergelassen hatten. Sie sah aus, als habe sie stundenlang mit Esther Vanmeer im Garten gesessen. «Hast du den Bauernsohn inzwischen erreicht?»
    «Ja, auf der Arbeit. Hanno Thedinga hat  

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