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Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delia Sherman
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und achtzig Beschwörungsritualen. Mit diesem, dem einundachtzigsten, rief sie einen Erzdämon, einen Fürst der Hölle, der nur wenig schwächer war als jene Prinzen, deren Namen die ganze Menschheit kennt: Asmodeus, Belial, Samael, Mephistopheles.
    Die Zeit verging; die schwarzen Kerzen brannten nieder. Während Margaret sang, kämpfte sie gegen kleine, eiskalte Anwandlungen der Angst. Warum kam der Dämon nicht? Die anderen Sklaven hatten bei der zweiten Wiederholung ihrer Namen allmählich Gestalt angenommen und waren während der dritten, die den Zauberspruch beschloss, vollständig erschienen. Nun hatte sie den ganzen Namen des Erzdämons bereits zwei Mal gesungen und befand sich im dritten Durchgang. Bald würde der Zauberspruch wie Ouroboros zu seinem Ausgangswort zurückkehren und die vierte Wiederholung einleiten, doch immer noch gab es kein Zeichen dafür, dass innerhalb des schwarzen Feuers etwas entstand. Hatte sie vielleicht unerklärlicherweise irgendeine Huldnote in ihrer Beschwörung vergessen, irgendeine winzige Silbe im Namen des Dämons? Oder rief sie gerade einen seltsamen Dämon herbei, dessen Stärke und Eigenarten sie nicht genügend kannte? Würde ein falscher Zauberspruch sie selbst binden und zu einer Sklavin des Wesens machen, das sie versklaven wollte?
    Margaret stockte die Stimme. Wie zur Antwort darauf erschien ein scharlachroter Schatten in den tintenschwarzen Flammen, quoll rasch auf und verzweigte sich, als wolle er Gestalt annehmen.
    Zwischen zwei Atemzügen bekam Margaret wieder einen klaren Kopf. Sie packte das Schlangenhorn, setzte es an die Lippen und blies darauf fünf gebieterische Töne. Der Schatten peitschte und wand sich zunächst wie ein roter Strudel in der Flamme, dann trieb er ruhig dahin, seiner Gestalt und Farbe entledigt.
    »Dämon!«, rief Margaret rau und triumphierend. »Ich nehme von dir deinen Namen, mit dem ich dich hierher gerufen habe, und gebe dir zum Ersatz die Töne, mit denen ich dich gebunden habe. Du sollst nicht länger in der Hölle herrschen, sondern in den Lüften dieser Welt wohnen und stürmen, wann und wo ich es will.« Sie kratzte mit einem bronzenen Stift über eine der Linien aus schwarzem Pulver und brach so die Unversehrtheit des Pentagramms um Haaresbreite auf. Der Schatten hastete auf diese Bresche zu. Aber als Margaret die Signaltöne blies, legte sich der Sturm sofort und wurde zu einer verdrossenen Windstille.
    »Wo und wann ich will, Dämon.« Ein schädlicher Geruch wehte ihr giftig in die Nase. Margaret hielt das Horn an die Lippen und der Gestank erstarb in einem bitteren Myrrhenhauch. Noch eine letzte Handlung, und der Ritus war vollendet. Sie hatte ihre Beute gefangen und fest eingesperrt. Nun musste sie den Dämon erniedrigen und diesem höllischen Sturm beibringen, dass er ohne jeden Zweifel ihr Sklave und kein Gebieter der Hölle mehr war.
    »Deine Rauheit hat mir das Haar verfilzt«, bemerkte sie wie eine Dame zu ihrer unachtsamen Kammerzofe. »Glätte es wieder.«
    Für die Dauer eines Atemzugs geschah nichts, doch dann erhob sich eine sanfte Brise und glättete die rotgoldenen Strähnen um ihre Schultern, bis in den schimmernden Wogen kein einziger Knoten mehr verblieben war. »Nun geh zu deinen Gefährten nach unten.«
    Der Erzdämon huschte als schwacher Luftzug die Steinstufen hinunter zu der tiefer gelegenen Kammer.
    Obwohl Margaret jetzt sehr müde war, ging sie nicht sofort zu Bett, sondern verwischte zunächst jede Spur der vorangegangenen Beschwörung in der Kammer. Sie fand keine Ruhe, bis sie den Ritus der Rücknahme aller Vorbereitungen durchgeführt hatte, mit dem sie jede ihrer Beschwörungen abschloss und die seelentiefe Kälte vertrieb, die sie hinterließen. Zug um Zug widerrief sie ihre Vorbereitungen, räumte das Horn, die Kohlenpfanne und die Pulver weg, wischte das Pentagramm vom Boden, faltete ihre mit Sternen bestickte Robe zusammen und legte sie in eine Truhe.
    Die Arbeit besänftigte sie. Als sie die Truhe schloss, lächelte sie. Es war unerwartet einfach gewesen, den Dämon zu binden, nachdem er endlich erschienen war. Sie hatte keinen harten Kampf gegen ihre Willenskraft und kein Auskühlen ihrer flammenden Stärke verspürt. Die Kunst der Zauberei brachte denjenigen, die sie ausübten, wahrlich große Befriedigung. Einundachtzig Winde bliesen nun nach Margarets Wunsch und Laune und einer von ihnen war ein Höllenfürst.
    Die Nacht dämmerte dem Tag entgegen. Margarets Füchsin stand am oberen Ende

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