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Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delia Sherman
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der Treppe, winselte und schwang den feuerroten Schwanz, als ob sie ihre Herrin bitten wolle, hinunterzusteigen und sich auszuruhen. Aber als Margaret sich reckte und streckte, entdeckte sie, dass eine ganze Bücherreihe sich trunken über einen umgefallenen Kodex lehnte. Unordnung! dachte sie, ging zurück, stellte die Bücher wieder ordentlich auf und bürstete eingebildeten Staub von ihren Kanten.
    Ein kleiner, aber schwerer Band fiel ihr dabei vor die Füße. Wütend trat sie ihn fort, doch dann hob sie ihn reumütig auf und strich über seinen zerkratzten Einband. De Rerum Eternis, las sie. Sie erinnerte sich daran, dass sie diesen Band damals, als er ihr zum ersten Mal aufgefallen war, genauso in der Hand gehalten hatte. Wie groß war ihre Freude darüber gewesen, dass er nun ihr gehörte und sie ihn lesen konnte, wann immer es ihr beliebte! Lentus war tot. Sie musste keine Kenntnisse mehr stehlen oder verhehlen. In dieser Bibliothek, die er ihr unfreiwillig hinterlassen hatte, hatte Margaret alle Werkzeuge der Herrschaftsgewalt gefunden, nach denen es sie schon immer gelüstet hatte. Sie hatte durch Lesen, Nachdenken und vorsichtiges Experimentieren unvorstellbare Kräfte erlangt und sie bewahrt und gehortet wie gemünzte Goldstücke. Sie hatte sich an ihnen geweidet, sie immer wieder gezählt und sparsam nur benutzt, um noch größeren Reichtum zu erlangen.
    Die erste kleine Münze in ihrem Schatz war ein scheußlicher Kobold gewesen, der in der Kohlenpfanne gehockt und sie mit sabberndem Schnabel angegrinst hatte. Sie hatte das monströse Wesen in eine parfümierte Brise verwandelt, kaum mehr als ein schwacher Luftstoß, und hatte es dazu benutzt, Lentus’ Bibliothek abzustauben und ihre Suppe zu kühlen. Bei der Beschwörung dieses langsamen, schwachen und dummen Unterteufelchens hatte sie wenig Geist und noch weniger Kunstfertigkeit bewiesen, doch es blieb eine Tatsache, dass sie ihn gerufen hatte und er gekommen war. Dämonen prüfen immer die Willenskraft des Zauberers und gehorchen nur den hartnäckigsten Köpfen. Lentus hatte Bequemlichkeit und Vergnügen genauso geliebt wie die Zauberei. Margaret hingegen liebte nur die Zauberei und war deshalb weitaus stärker als er.
    Zärtlich stellte Margaret das De Rerum zurück ins Regal. Die aufgehende Sonne leckte blassgolden durch die Risse in den hölzernen Schlagläden und warf opalnes Feuer auf die Falten des Schleiers über dem Spiegel. Margaret erzitterte, schlich erschöpft zu ihrem Stuhl und setzte sich. Sie war zu matt, um sich noch bewegen zu können. Die Füchsin kroch hinter einem Lesepult hervor und sprang ihr wie eine lebendige Flamme auf den Schoß.
    Margaret seufzte und streichelte die weichen Ohren der Füchsin. Ihr Hausgeist würde bei ihr bleiben und ihr Horn unterwarf noch immer die Winddämonen ihrem Willen, doch es würde keine neuen Dämonen mehr geben: Der Bronzespiegel gehorchte ihr nicht mehr. Und dafür war diese stümperhafte Arbeit der gedungenen Verbrecher in der Nacht zu Allerheiligen verantwortlich.
    Margarets müder Verstand trottete wie ein Ochse an einem Mühlrad über ausgetretene Pfade. Was war aus der Frau nach Allerheiligen geworden? War Margarets Feindin vor Trauer über die Ermordung ihres Mannes und ihres Sohnes wahnsinnig geworden und hatte ihrem Leben mit eigenen Händen ein Ende gesetzt? Nein, dachte Margaret, denn dann hätte sich die Prophezeiung verändert, da ihre ursprünglichen Voraussetzungen nicht mehr gegeben waren. War sie vielleicht im Haus ihrer Mutter untergekrochen, um dort weinend ihre Wunden zu lecken? Margarets Hand drückte die Füchsin fester, sodass das Tier aufjaulte und ihr einen vorwurfsvollen Blick zuwarf.
    »Nein«, meinte Margaret zu ihrer Füchsin. »Keine Tochter meines Blutes würde sich demütig nach Hause schleichen und ihr Leben mit unfruchtbarer Trauer vertun.«
    Was aber war dann aus ihr geworden – aus dem namenlosen Kind, das seiner Mutter zum Verderben werden sollte? Diese Frage dröhnte in Margarets müdem Geist wie ein Beschwörungsspruch, der sie unerbittlich zum Spiegel zurückzwang. Margaret stieß die Füchsin von den Knien, zog den schimmernden Schleier fort, packte den Rahmen des Spiegels und wünschte sich heftig, ihre Tochter zu sehen. Der bronzene Dunst erzitterte überwältigt, dann teilte er sich widerstrebend und enthüllte eine schlanke Gestalt, die in ein Hemd von traurigem Scharlachrot und eine bunte Hose gekleidet war; es war das Gewand eines Dieners.
    Nach

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