Die Blume der Diener
Inhalt missverstanden zu haben, doch sowohl die ausdrückliche als auch die nur angedeutete Botschaft waren vollkommen klar. König Arnaud von Gallimand sandte seinem königlichen Bruder die wärmsten Grüße und bat ihn, irgendwann in der ersten Maiwoche nach seinem Botschafter Ausschau zu halten. Die Zeit war reif, eine Allianz zwischen Gallimand und Albia zu besprechen.
Der König hielt ein zweites Dokument hoch und starrte darauf. Es trug den beeindruckenden lyon enface – das Siegel des Hauses Frise – und stammte von Rosamond, der Duchesse de Frise und Tante des verstorbenen Königs Geoffrey. Sie war eine Dame von etwa siebzig Jahren und ebenso durchtrieben wie alt. König Geoffrey hatte immer gesagt, bei ihrem scharfen Verstand und ihrer Freude an Machtkämpfen sei es eine Schande, dass seine Tante de Frise eine Frau war. König Geoffreys Sohn hingegen hatte seine Großtante immer als eine anmaßende und lästige alte Zauberin angesehen.
Der Brief der Duchesse war in ihrer eigenen kraftvollen und ausladenden Handschrift verfasst. Offenbar hatte sie seinen Inhalt als zu privat angesehen, um ihn einem Schreiber anzuvertrauen.
An unsren heissest-gelibten neveu die beßten Grüsse. Fr o locket mit mir, da ich Euch höchstselbst eine Gemahlin fand. Hübsch ist sie, von nicht alzu klugem Verstände, so sanfft als ein Lamm unnt fessten, guten Glaubens. Albias Truhen werden schwellen von irer Mitgifft, unnt ihre G e stallt wird warhafft erfreun den Küning vonn Albia. Auch issts ein factum, dass ihre famila sich darauff verstehet, ju n gen zu ze u gen, wo sie Selbsten dass einzig Mägdlein isst. Mir ward gesagt, Ihr seyd trüben Sinns, Nefeu, allweilen Ewr. Freunnd Ld. Robert Wykeham e getödt ward in Brant, wel chhalben Ihr ihm habt errichtet ein wunndersames Ma u soleum. Welch selbiges meyn Begreiffen übersteiget, allwe i len er war eyn grosser Narr. Ihr wäret eyn gleich grosser Narr, wenn Ihr Lyssaude nicht zu Ewr. Gemahlin nehmet und Euch dergestaltig allzugleich von Euren Schulden, tr ü bem Sinn unnt bösem Geschwätz trennet. Arnaud schicket Tell e monden als Botschafften Behandlet ihn wohl und gebet ihm die Ann t wort, welchselbige er von Euch begehret.
R de F
De la gr a nde duchesse du Frise au Lionel Roi d’Albia. Ecrit la 6 Mars, xxiii Arnaud. Que dieu vous benisse.
König Lionel warf dieses ungehobelte Sendschreiben zu Boden und verfluchte sein Pech. Vor zwei Jahren hätte ihm seine Großtante keinen solchen Brief geschrieben.
Vor zwei Jahren war er der neue und allseits geliebte Monarch eines kleinen, aber blühenden Königreiches gewesen. In den züngelnden Flammen des Kaminfeuers beschwor der König die Bilder seiner Krönung herauf: die hellen Wimpel, die über dem Schloss von Cygnesbury flatterten, und die fröhlichen Menschen, welche die Straßen der Stadt säumten, die Hüte schwenkten und brüllten: »Gott segne König Lionel!« und »Lang lebe der König!«, bis ihm die Ohren von all dem Lärm geklungen hatten. Später in der dunklen, kühlen und stillen Abtei war sein Herz von Ehrfurcht erfüllt gewesen, als ihm der Erzbischof die juwelenbesetzte Krone von Albia auf das Haupt gesetzt und ihn auf diese Weise mit seinem Erbe, seiner Bestimmung und seinem Königtum betraut hatte.
Am Krönungstag barst König Lionels Herz beinahe vor Liebe zu Albia, zu all seinen Wäldern, Feldern, Sümpfen und Bergen und jeder Menschenseele, die dort lebte, doch besonders zu Robert Wickham, Lord von Wickham und Grafen von Toulworth. Nach der Zeremonie gab es ein langes Fest mit Gesang, Maskeraden und Tanz, doch als dieses Gelage schließlich zu Ende war, zog sich der frisch gekrönte König von Albia in sein Privatgemach zurück, warf seine scharlachrote und goldene Kleidung ab und unterhielt sich mit seinem Freund bis zur Morgendämmerung. Obwohl sie beide während des Festes viel getrunken hatten, spürten sie weder einen schweren Kopf noch eine schwere Zunge. Gedanken, Philosophien, Sehnsüchte erklangen zwischen ihnen, bis Lionel kaum mehr wusste, welche von ihm und welche von Robin stammten.
»Man wird sich an Euch erinnern, Sire. Ihr werdet ein König sein, wie ihn die Lieder beschreiben, und Legenden hinterlassen wie Edgar der Drache.« Robin winkte mit dem Pokal und stimmte einen Gesang an; seine Stimme war rau vom Wein und vom lauten Reden. »Er schwang das Schwert; das Blut, es war zu heller Flamm’ entfacht / Der Drach’ von Reddingale, er starb in jener Nacht.«
Lionel lachte und
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