Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
hinter sich, damit er freie Bahn hatte, wenn es zu einem Kampf kommen sollte.
Er hatte nämlich plötzlich das Gefühl, es bliebe ihm gar nichts anderes übrig, als zu kämpfen und sich zu verteidigen, weil Hector nun auch zu Césarine geflüchtet war und ihn ganz allein gelassen hatte mit den Raubtieren. Bekanntlich geriet auch das tapferste Pferd, das sich viele Male auf dem Schlachtfeld bewährt hatte und weder Lanzen noch Pfeile oder Hakenbüchsen fürchtete, beim Anblick eines Wolfs in Panik.
Außerdem wusste Mathias, dass es dem gefangenen Wolf gelingen könnte, sich aus der Falle zu befreien. Die verletzte, blutende Pfote würde ihn erst recht zur Raserei bringen.
Mathias stand breitbeinig da, um möglichst viel Halt im Schnee zu finden, und holte langsam sein Messer aus dem Gürtel. Es hatte einen breiten Griff und lag gut in der Hand. Misstrauisch musterte der Wolf die lange, spitze Klinge, die drohend auf ihn gerichtet war und seltsam funkelte.
»Bitte sei vorsichtig, Mathias«, flüsterte ihm Alix zu.
»Lass mich. Geh zu den Pferden, und versuche sie zu beruhigen. Es ist schlecht, wenn sie nervös sind.«
Da schämte sich Alix plötzlich für ihre Schwäche und riss sich
zusammen. Schließlich war sie nicht als junges Mädchen lange Zeit allein unterwegs gewesen und hatte vielen Gefahren getrotzt, um jetzt wegen eines Wolfs vor Angst zu zittern! Die traurige Wahrheit über Valentines Zwillingsschwester hatte sie beinahe um den Verstand gebracht, ja geradezu betäubt. Lieber Himmel! Was sollte aus dem kleinen Mädchen werden, wenn sie jetzt von einem Wolf getötet wurden? Erst einmal mussten sie ihr eigenes Leben retten, ehe sie an das Kind denken konnten.
Ihr Kampfgeist kehrte zurück, und sie suchte nach dem Messer, das sie für alle Fälle in einer Tasche ihres Umhangs versteckt hatte. Dann trat sie langsam neben Mathias.
Der Wolf in der Falle heulte wieder, der andere beobachtete sie weiter, stand plötzlich auf und kam mit wiegendem Gang auf sie zu. Alix zitterte nicht mehr, sondern hielt ihr Messer fest in der Hand. Mathias hatte sie kommen sehen, sagte aber keinen Ton, um ganz konzentriert zu bleiben. Eine einzige hastige Bewegung, ein unbedachter Schrei – und der Wolf würde sich auf einen von ihnen stürzen.
Mathias ließ ihn nicht aus den Augen und sah, wie sich sein Blick veränderte. Er kam ihm jetzt noch grausamer vor, so als hätte der Wolf beschlossen, endlich kurzen Prozess mit ihnen zu machen. Bestimmt war es ein Männchen, und sein Weibchen saß in der Falle fest. Der Wolf kam noch ein paar Schritte näher, aber die beiden funkelnden, drohend auf ihn gerichteten Klingen schienen ihn daran zu hindern, über seine Opfer herzufallen.
Nach einigen Minuten, die ihnen wie eine Ewigkeit vorkamen, zog sich das Raubtier langsam wieder zurück. Aber anstatt zu dem anderen Wolf zu gehen, schlich es in Richtung der Pferde.
Mathias glaubte zunächst, er hätte aufgegeben, doch dann durchschaute er seine List. Erstens würde das Männchen niemals sein Weibchen im Stich lassen, zweitens war er wohl so schlau zu begreifen, dass er nur die Pferde aufscheuchen musste, um schnell Herr der Lage zu werden.
»Alix, du musst die Pferde wegbringen, sonst jagt er ihnen Angst ein und greift uns an, wenn wir sie beschützen wollen.«
Alix tat wie geheißen, und Césarine und Hector wollten nichts lieber, als möglichst weit weg vom Geschehen zu sein.
Inzwischen war es Nacht geworden und Mathias sah sich den Wölfen allein gegenüber. Er spielte mit seinem Messer und ließ die Klinge blitzen, weil das im Augenlick die einzige Möglichkeit war, Zeit zu gewinnen. Eine reichlich kurze Gnadenfrist!
Langsam und vorsichtig kam der Wolf näher. Zum Glück für Mathias zeichnete sich seine Gestalt vor dem weißen Hintergrund deutlich ab. Ohne den dicken weißen Schnee überall hätte er das Tier nicht sehen können.
Da setzte das Raubtier endlich zum Sprung an. Alix stieß einen Schrei aus und sprang zur Seite. Und genau in dem Augenblick, als es über Mathias herfallen wollte, bohrte sie ihm das Messer in den Rücken. Der Wolf heulte vor Schmerz auf und drehte sich suchend nach seinem Angreifer um. Als er sich gerade ungeachtet seiner Verletzung auf Alix stürzen wollte, traf ihn ein zweiter Stich in die Schulter. Mathias hatte gut gezielt. Wieder heulte der Wolf laut auf, hielt inne, schätzte den Abstand, der ihn von den zwei blitzenden Klingen trennte, die wieder drohend auf ihn gerichtet waren, und
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