Die blutende Statue
blieben sie noch zwei Monate im Lande, damit Otto Witte so viel Albanisch lernen konnte, wie dies von einem türkischen Prinzen normalerweise erwartet wurde. Aus Wien ließen sie sich zwei Operettenkostüme schicken, eins für einen Fantasiegeneral, das andere für einen Türken. Dann fuhren sie nach Saloniki, um auf das Schiff zu warten, das auf der Fahrt von Istanbul nach Durazzo dort Zwischenstation machte. Einen Freund in Istanbul hatten sie gebeten, das offizielle Telegramm abzuschicken, in dem den Albanern das Eintreffen von Halim Eddine angekündigt wurde.
In ihren riesigen königlichen Gemächern hatten Otto und Max endlich aufgehört zu lachen. Erstens, weil sie nicht mehr konnten, und zweitens, weil an die Tür geklopft wurde. Davor stand General Essad Pascha, der sie ehrerbietig zum Festmahl einlud, das man ihnen zu Ehren gab. Sie bedankten sich für die nette Aufmerksamkeit und schlugen sich tapfer durch alle achtzehn Gänge der Mahlzeit. Kaum hatten sie den letzten Bissen hinuntergeschluckt, eilten sie jedoch in ihre Gemächer zurück. Ein Umstand war an diesem Land nämlich ärgerlich: Moslems trinken keinen Alkohol. Zum Glück hatten sie das eingeplant und führten in ihrem Gepäck einen Schnapsvorrat mit, der ausreichte, um eine Belagerung zu überstehen.
Die ganze Nacht stießen Otto und Max miteinander an und besprachen dabei die vordringlichsten Aufgaben des zukünftigen Monarchen: zum einen einen Harem bilden, weil es keinen moslemischen Fürsten ohne Harem gibt, zum anderen sich die Schlüssel zum albanischen Staatsschatz aushändigen lassen. Nachdem sie sich ein letztes Mal zugeprostet hatten, schliefen sie, zuversichtlich in die Zukunft blickend, ein.
Nach einem gewaltigen Frühstück, von dem sie nicht einmal ein Viertel verzehren konnten, betraten sie am folgenden Tag den großen Saal des Palastes. Zu diesem historisch bedeutsamen Moment hatten sich dort die Würdenträger des Landes und alle Armeeoffiziere, angeführt von Essad Pascha, eingefunden. Letzterer erklärte zugleich gerührt und feierlich: »Prinz! Wie Sie wissen, kann es das albanische Volk kaum erwarten, dass Sie statt eines ungläubigen Franzosen, Deutschen oder Engländers den Thron besteigen. Darum bitten wir Sie untertänigst, unser König zu werden. Das wäre für uns eine große Ehre, ein Beweis für Ihre Weisheit und eine Gunst Allahs.«
Unerschütterlich strich sich der »Neffe des Sultans« über den grauen, buschigen Schnurrbart und tätschelte dann seine wundervolle bunte Schärpe. In der peinlichen, drückenden Stille, die nun folgte, waren sich alle Anwesenden dessen bewusst, dass sich jetzt das Geschick Albaniens entschied.
Endlich ergriff Halim Eddine das Wort. Er sprach ein gebrochenes Albanisch, das man für einen türkischen Prinzen jedoch sehr verdienstvoll fand.
»Diese Bitte ehrt mich außerordentlich, nur bin ich ihrer unwürdig.«
Für einen Moment hielten alle enttäuscht den Atem an, bis der Prinz wieder das Wort ergriff: »Doch wenn dies Allahs Wille ist, will ich mich meiner Pflicht nicht entziehen. Ich willige ein, euer Herrscher zu werden, und setze meine Krönung auf übermorgen fest.«
Durch die Reihen der Würdenträger lief ein zufriedenes Murmeln. Hier und da kam zögernder Applaus auf, doch mit einem Wink brachte der zukünftige Monarch alle zum Schweigen.
»Hört mich jetzt an. So lauten meine ersten Beschlüsse: Im Namen Allahs, des Allmächtigen und Barmherzigen, soll General Essad Pascha, der natürlich Oberhaupt der Armee bleibt, zunächst die allgemeine Mobilmachung anordnen, weil ich Montenegro den Krieg erkläre. Zweitens habe ich beschlossen, für meinen Harem keine ausländischen Prinzessinnen zu wählen, sondern Töchter des albanischen Volkes. Dabei wünsche ich ausdrücklich keine Frauen aus dem Adel, sondern nur Mädchen, die die sprichwörtliche Schönheit der Albanerinnen verkörpern. Drittens soll mir General Essad Pascha über die Finanzen des Landes Bericht erstatten, damit ich jeden von euch nach Verdienst belohnen kann.«
Das entfesselte einen Sturm der Begeisterung. Trotz der ärgerlichen Proteste des zukünftigen Herrschers brachen alle Anwesenden in Hurrageschrei aus. Als sich die Neuigkeit in der Bevölkerung herumsprach, wurde sie mit ähnlicher Begeisterung begrüßt.
Am meisten bejubelte man die Kriegserklärung an Montenegro. Dazu muss man wissen, dass die katholischen Montenegriner die Erbfeinde der moslemischen Albaner waren. Leider besaßen die
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