Die Blutgabe - Roman
um Sids rechte Hand verdichtete, fühlte, wie die Energieunaufhaltsam aus ihm herausgesaugt wurde und in die Finger des Wächters strömte. Finger, die nun wieder auf Blue gerichtet waren.
»Nein«, krächzte er tonlos. »Nicht … Blue. Bitte …«
Sid lachte, keuchend und boshaft. »BOOM Baby …«
Die Welt glitt Kris aus den Händen. Er konnte sie nicht länger festhalten.
»Nein«, wisperte er und versuchte ein letztes Mal, sich zu befreien. »Nein …«
Der Ball aus Energie in Sids Hand glühte auf, bereit, Blue ein für alle Mal zu vernichten –
Und in diesem Augenblick krachte auf der anderen Seite des Daches eine Tür gegen die Wand.
»Sofort aufhören!«
Klar und deutlich klangen die Worte, obwohl sie fast untergingen im Heulen des Windes.
Cedric.
Endlich.
Sids Griff löste sich ein wenig, aber er ließ den Arm nicht sinken.
»Sofort, Sid.«
Niemand konnte sich dieser Stimme widersetzen. Niemand.
Der Wächter gehorchte. Erleichterung strömte wie ein Seufzer aus Kris’ Lungen. Kraftlos sank er in sich zusammen und unterdrückte ein Wimmern, als seine Wunden zu heilen begannen.
»Was ist hier los?« Cedric kam mit raschen Schritten näher. Seine weiße Haut glühte in der untergehenden Sonne. Die gelben Augen blitzten zornig hinter den schwarzen Locken.
Mühsam setzte Kris sich auf. Tausend Gedanken schossen innerhalb von Sekundenbruchteilen durch seinen Kopf. So vieles fiel ihm ein, das er hätte sagen können. Aber er verwarf jede einzelne Möglichkeit unter dem stechenden Blick.
Die Wahrheit
, dachte er.
Was sonst könnte mich jetzt noch retten?
»Die 159 …« Seine Worte klangen in seinen eigenen Ohren brüchig und fremd. »Sid hat sie gejagt, und ich … habe versucht, ihn aufzuhalten.«
Lange Zeit sagte Cedric nichts. Der Wind peitschte die Haare in sein Gesicht. Doch er blinzelte nicht einmal.
Der Wächter starrte noch immer zu Blue, die zitternd nur wenige Meter von ihnen entfernt liegen geblieben war und sich nicht mehr rührte. Er sah alles andere als zufrieden aus.
Endlich schüttelte Cedric gereizt den Kopf.
»Großartig«, knurrte er. »Das hat mir gerade noch gefehlt. Janet lässt unsere Versuchsobjekte frei, und ihr bringt euch gegenseitig halb um wegen einer wahnsinnigen Erwachten. Wirklich großartig. Macht nur weiter so. Ich habe ja sonst keine Sorgen.« Er schnaufte und warf einen Blick zu Blue hinüber. Dann rieb er sich angestrengt über die Stirn, als könne er damit den Zorn wegwischen. Als er wieder sprach, klang es, als würden ihm seine nächsten Worte ernsthaft schwer fallen. »Glaubst du, dass du dich wenigstens um sie kümmern kannst, bis ich entschieden habe, was ich mit ihr mache?«
Kris nickte mühsam. Er fühlte sich nach dem Kräftemessen mit Sid kaum stark genug, um zu stehen. Aber er wollte auch nicht, dass jetzt jemand anderes für Blue sorgte.
Cedric atmete tief durch. »Gut. Melde dich später in meinem Büro. Ich verlasse mich auf dich – da
Katherine
heuteoffensichtlich etwas Besseres zu tun hat. Sid, du kommst mit mir.« Er wandte sich zum Gehen. Der Wächter erhob sich schweigend, jedoch nicht, ohne noch einen langen Blick auf seine verlorene Beute zu werfen.
Kris richtete sich überrascht auf. »Katherine ist nicht da?«, fragte er verblüfft. »Wo ist sie denn?«
Cedric blieb noch einmal stehen und warf ihm über die Schulter einen funkelnden Blick zu. »Ich weiß es nicht. Aber ich habe da so eine Ahnung.«
Kris öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Cedric winkte mit einem Ausdruck düsterer Resignation ab. »Wie auch immer. Sie ist erwachsen, sie muss selbst wissen, was sie tut. Ich wünsche dir viel Vergnügen beim Babysitten. Ich für meinen Teil habe genug zu tun, auch ohne mich um meine offensichtlich neuerdings alle verrückt gewordenen Mitarbeiter zu kümmern. Gehen wir, Sid.«
Und bevor Kris noch etwas erwidern konnte, fiel die Tür zum Treppenhaus mit einem Knall hinter den beiden ins Schloss.
Wie benommen blieb er noch eine Weile sitzen, wo er war. Der Wind flaute allmählich ab, und es wurde dunkel. Was war das bloß für ein Abend? Katherine war verschwunden? Und nicht einmal Cedric wusste, wo sie war? Hatten sie sich gestritten? Katherine hatte heute Morgen, als Kris und Chase das Büro des Doktors verlassen hatten, nicht besonders glücklich ausgesehen. Sie würde doch nicht …
Ein fassungsloses Lachen stieg Kris’ Kehle hinauf.
Katherine
, dachte er und vergrub das Gesicht in den Händen .
Ich hätte dir
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