Die Blutgabe - Roman
ein Anfang. Es würden viele weitere folgen.
Und diese Angst, das spürte Red nun deutlich, war etwas, wofür es sich zu leben lohnte.
Kapitel Achtzehn
Uptown, Kenneth, Missouri
»Ich habe immer gedacht, alle Menschen wären gleich. Aber ich bin anders. Du bringst mich dazu, anders zu sein.«
»Von oben, Red!«, brüllte Chase.
Der Bluter landete krachend auf dem Dach des Autos und blieb für den Bruchteil einer Sekunde sitzen – den Bruchteil, den Red brauchte, um zu zielen.
Seine Kugel riss dem Vampir den Oberkörper auf und zerfetzte sein Herz in winzige Stücke.
Abschuss
, dachte Red.
Der letzte für heute.
Langsam ließ er den Revolver sinken und schloss die Augen, um dem Nachhall des Schusses zu lauschen. Das inzwischen so vertraute Hochgefühl durchströmte seinen Körper.
Hinter sich hörte er Schritte und drehte sich um.
Chase grinste ihm entgegen, während er sich rasch näherte. »Guter Schuss.« Er wischte sich mit dem Handrücken das Blut von der Wange. »Na das war’s dann wohl. Nach Hause?«
Red nickte und versuchte, sich nicht all zu offensichtlich über das Lob zu freuen. »Unbedingt. Zeit fürs Wochenende.«
Gemeinsam verließen sie das Parkhaus, das sie in dieser Nacht für ihre Jagd in Uptown ausgesucht hatten. Der erste blassgoldene Schimmer überzog bereits den Himmel im Osten. Schnee knirschte unter ihren Stiefeln, und die Luft war klar und kalt.
Chase gähnte. »War ein bisschen zäh heute, was?«
Red nickte. In der Tat hatten sie diese Nacht hauptsächlich mit Warten und Frieren verbracht. In den wohlhabenden Vierteln von Kenneth waren selten viele Bluter unterwegs – aber diesmal war es regelrecht langweilig gewesen. Vor allem, da das Erledigen von jungen Vampiren mit Hilfe der neuen Patronen fast so einfach war, wie auf Puppen zu schießen.
Zwei Monate waren seit Reds erstem Einsatz in den Dirty Feet vergangen. Seither war er mit verschiedenen Teams in fast allen Teilen von Kenneth unterwegs gewesen und fühlte sich in der Stadt mittlerweile regelrecht heimisch. Selbst in den Tunneln fand er sich inzwischen gut zurecht, und die Wege kamen ihm immer weniger lang vor. Die Außeneinsätze wurden allmählich zur Routine – eine angenehme Routine, auf die Red nicht mehr verzichten wollte. Denn die Euphorie, die er bei jenem ersten Mal auf dem Dach in den Dirty Feet verspürt hatte, war die gleiche geblieben, egal, wo er die Bluter tötete, und egal, wie viele. Er hatte das Gefühl, auf der Spitze eines Berges zu stehen, der mit jedem Abschuss höher wurde, ihn weiter sehen und freier atmen ließ. Es war ein Gefühl, das süchtig machte – und Red hatte sich irgendwann erstaunt eingestehen müssen, dass es ihn wirklich überhaupt nicht interessierte, warum er all die Bluter erschoss. Oder was es den
Bloodstalkers
half, wenn er es tat. Ihm ging es einzig und allein um die Angst, um die Aufregung, die ein Außeneinsatz mit sich brachte – und um dieses Gefühl der Freiheit, das ihn überschwemmte, wenn er sie besiegt hatte. Darum war er auch am liebsten mit Chase unterwegs. Denn nur bei ihm hatte er das Gefühl, dass er genauso empfand. Dass er gern auf Außeneinsätze ging – nicht aus einer Verpflichtungden Vampiren gegenüber. Und nicht zuletzt hatte Red festgestellt, dass ihm die Einsätze halfen, besser mit seiner Sehnsucht nach Blue fertig zu werden. Es erleichterte ihn, etwas gefunden zu haben, das ihm trotz allem einen gewissen Frieden geben konnte. Die Nächte, in denen er vor lauter Verzweiflung nicht schlafen konnte, waren seltener geworden – und manchmal gab es sogar Tage, an denen er überhaupt nicht an sie dachte, weil das Training und die Arbeit als Jäger ihn viel zu sehr in Anspruch nahmen. Es war ein gutes Gefühl. Red war dankbar dafür.
Und doch waren es genau diese Momente, die er am meisten fürchtete. Eine Angst, die nicht versprach, sich in Euphorie aufzulösen, drückte schmerzhaft auf seine Brust, wann immer ihm bewusst wurde, dass ein weiterer Tag ohne einen einzigen Gedanken an sein wahres Ziel vergangen war. Er wollte nicht vergessen. Er durfte nicht vergessen. Er hatte Blue versprochen, sie nicht zu verraten, und das würde er auch nicht. Niemals.
Nur gab es einfach nichts, was er zur Zeit tun konnte. Er hatte ja nichts – außer Kris’ Versprechen, von dem er nicht wusste, ob der Vampir es jemals halten würde. Wenn er an der Verzweiflung nicht zerbrechen wollte, was blieb ihm dann, außer zu warten und den Druck, der ihn von Innen heraus
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