Die Blutgabe - Roman
Blick vielsagend über die Türen schweifen, hinter denen die anderen Executives verschwunden waren. Einige Momente lang schwieg er, während das Grinsen auf seinem Gesicht verblasste und unwillige Falten auf seiner Stirn zurückließ.
»Alle gleich, verstehst du?« Er schüttelte ärgerlich denKopf. »Alles, was sie tun, muss einen Sinn machen. Manchmal würde ich ihnen gern ordentlich ins Hirn blasen, damit sie aufhören, so verstopft zu sein. Ehrlich, Mann. Ich wäre schon dankbar, wenn sie wenigstens nicht ständig versuchen würden, alles auszudiskutieren.« Chase seufzte und starrte zum Kronleuchter hinauf, der im blassen Licht matt glänzte.
»Erst habe ich gedacht, du bist auch so. Oder schlimmer. Stimmt aber nicht. Du redest nicht so viel. Du machst einfach.«
Red starrte ihn verblüfft an. Chase war selten geizig, wenn es darum ging, bissige Bemerkungen zu verteilen – dafür aber um so sparsamer mit Anerkennung. Dass er Red nun so offenherzig lobte, war überraschend genug. Aber Red hatte auch noch nie erlebt, dass er einen so ernsthaft verächtlichen Ton anschlug, wenn es um ihre Mitstreiter ging.
Doch der Augenblick war ebenso schnell vorbei, wie er gekommen war. Chase schnalzte mit der Zunge und hob die Schultern.
»Na ja. Lass sie denken, was sie wollen. Gehen wir schlafen.« Er richtete sich auf. »Bis später – Farmer.«
Er hob die Hand und wandte sich ab.
Red machte einen Schritt nach vorn. »Warte mal!«
Chase hielt inne und sah über die Schulter zurück. »Was?«
»Warum nennst du mich immer so?«
Das Lachen war in Sekundenbruchteilen von Chase’ Gesicht verschwunden. Für einen Moment war es sehr still in der Eingangshalle. Dann hörte Red ihn leise seufzen.
»Nimm’s nicht persönlich«, sagte Chase. »Vergiss nicht, wir sind hier unter Vampiren. Masken sind erwünscht.«
Er nickte Red noch einmal zu. »Wir sehen uns. Schlaf gut.«
Und damit ließ er Red endgültig allein.
Kapitel Neunzehn
Insomniac Mansion, Kenneth, Missouri
»Bis bald, Red. Bitte warte nicht zu lang, bevor du kommst.«
Red verschlief den Großteil des Samstags und erwachte erst, als es bereits wieder dämmerte. Er fühlte sich matt und schläfrig, und hätte ihm nicht ein dringendes Bedürfnis auf die Blase gedrückt, wäre er vermutlich sofort wieder eingeschlafen. Im Haus war es still, und durch einen Spalt zwischen den Gardinen sah Red, dass es draußen wieder zu schneien begonnen hatte.
Er gähnte und setzte sich schwerfällig auf. Die Luft im Zimmer war kalt, und er zog fröstelnd die Bettdecke bis zu seinem Kinn. In solchen Momenten beneidete er die Vampire, die niemals Hunger bekamen und niemals austreten mussten. An Tagen wie diesen hätte Red sein Bett dann überhaupt nicht verlassen, da war er sich sicher.
Möglichst ohne zu viel von seinem nackten Arm der Kälte preiszugeben, angelte er nach seinem Pullover und seinen Socken, die er am Morgen achtlos neben seinem Bett hatte fallen lassen – als sein Blick plötzlich an der Tür hängen blieb.
Oder vielmehr: an dem Zettel, den jemand mit einem Klebestreifen daran gehängt hatte.
Vor lauter Verwunderung hätte Red die Kälte beinahe vergessen. Eilig schlüpfte er in seine Kleider und stand auf, um zur Tür zu gehen.
Es war ein kurzer Brief, mit schwarzer Tinte von Hand geschrieben. Und obwohl es das erste Mal war, dass Red dieHandschrift zu sehen bekam, erkannte er sie auf den ersten Blick: Kris musste noch einmal hier gewesen sein, bevor er mit Céleste nach Paris aufgebrochen war. Red tastete nach seinem Hals. Wie gewöhnlich war nichts zu fühlen. Aber wenn Kris von ihm getrunken hatte, würde das erklären, warum er so lange und fest geschlafen hatte.
Red nahm den Zettel herunter und rieb sich über die noch vom Schlaf verklebten Augen, um den Brief lesen zu können.
Doch schon nach wenigen Zeilen hatte er plötzlich das Gefühl, nicht mehr aufrecht stehen zu können. Er schwankte und stützte sich schwer gegen den Türrahmen. Mit brennenden Augen starrte er auf das kleine Stück Papier, das ihm schließlich aus zitternden Fingern fiel und zu seinen Füßen liegen blieb.
Mein lieber Red,
leider bleibt mir nicht viel Zeit, bevor ich aufbrechen muss. Und so, wie sich die Dinge zur Zeit darstellen, wird es mir voraussichtlich auch nicht möglich sein, noch mit Dir zu sprechen, ehe ihr in die Forschungsstation eindringt. Trotzdem möchte ich Dir noch etwas mitteilen, das nur Dich persönlich betrifft und das Du daher besser für
Weitere Kostenlose Bücher