Die Blutgabe - Roman
Natürlich darfst du sie
nicht
›austreiben‹.«
»Schade, schade …« Sid lächelte bedauernd. »Tja, dann eben nicht. Bis später, Doc.«
Geräuschlos verschwand der Vampir im Fußboden.
»Bis später«, murmelte Cedric und umspannte die Teetasse fester mit seinen Händen. Die Wärme begann sich bereits zu verflüchtigen.
Den Wassertank bestrahlen
, dachte er und schüttelte den Kopf. Natürlich könnte er das tun. Aber das würde bedeuten, dass auch Sid erneut bestrahlt werden musste, um seine Moleküle mit denen des Wassers zu synchronisieren. Und was das für Sids ohnehin labile Psyche zu bedeuten hätte, wollte Cedric sich lieber nicht vorstellen. An manchen Tagen bereute er es fast, das Strahlungsexperiment durchgeführt zu haben, mit dem er die Substanz des jüngeren Vampirs manipuliert und zu einer Einheit mit der Forschungsstation verschmolzen hatte. Doch meistens war er froh über die Vorteile, die es mit sich brachte, einen Wächter zu haben, der zu jeder Zeit an jedem beliebigen Ort von White Chapel auftauchenkonnte – und der zudem ganz allein in der Lage war, ganze Horden von Eindringlingen zurückzuschlagen, wenn es nötig wurde. Sid hatte die Station vor mehr Übergriffen durch wildernde junge Bluter geschützt, als Cedric zählen konnte. Eine Armee von Wachpersonal wie in den OASIS brauchte White Chapel nicht. Und nicht zuletzt hatte Sid sich seinerzeit selbst bereit erklärt, die schmerzhafte Prozedur der Bestrahlung über sich ergehen zu lassen. Dass sein Verstand dabei in Mitleidenschaft gezogen werden würde, hatte er damals natürlich nicht gewusst. Aber es schien ihn auch nicht besonders zu stören.
Mit Gewalt riss Cedric seine Gedanken von dem Wächter los. Die Sonne stieg immer höher. Er mochte vielleicht ewig leben, aber er hatte nicht ewig Zeit.
Cedric griff nach seinem Stift. Schob die Tasse zur Seite.
Und begann endlich zu schreiben.
Der Gutachter traf am späten Abend ein, als die Mitarbeiter von White Chapel ihre Arbeit bereits wieder aufgenommen hatten. Er war ein streng aussehender konservativer Vampir in einem dunklen Anzug, der von zwei Gehilfen begleitet wurde: Einer Frau mit straff aufgesteckten roten Haaren, die schon bei der Begrüßung ihren Notizblock bereit hielt, als beabsichtige sie, jedes Wort von Cedric genauestens zu protokollieren – und einem übereifrigen Jungvampir, der offensichtlich zu keinem anderen Zweck die Gruppe begleitete, als die Tasche des Gutachters hinter ihm her zu tragen.
Cedric schüttelte allen dreien die Hand und führte sie auf direktem Weg in den Vorraum der Labore, wo Katherine bereits auf sie wartete. Sie hatte dem Anlass entsprechend ihre Haare ordentlich zurückgebunden und einen frischen,blütenweißen Kittel angezogen. Ihre langen Eckzähne glänzten, als sie lächelnd auf Cedric und seine Gäste zutrat.
»Guten Abend«, grüßte sie freundlich.
»Mr. Hanson – darf ich Ihnen meine persönliche Assistentin Katherine Darleston vorstellen?«, sagte Cedric. »Katherine – das ist Mr. Jeffrey Hanson vom Referat für Forschungsförderung. Und das sind seine Assistenten Mrs. Helen James und Mr. Oscar Harvey.«
»Freut mich sehr«, sagte Katherine und reichte zuerst Mr. Hanson die Hand.
Mrs. James hatte bereits wieder ihren Block gezückt und machte sich eine Notiz.
»Ich sehe, Sie beschäftigen den Richtlinien entsprechend auch progressive Vampire in ihrer Station«, bemerkte Mr. Hanson und klang recht zufrieden dabei. »Ist Mrs. Darleston die einzige Progressive in Ihrem Team, Dr. Edwards?«
Cedric schüttelte den Kopf. »Nein. Eine unserer Gentechnikerinnen ist ebenfalls vom progressiven Stamm. Sie werden sie noch kennenlernen.«
Mr. Hanson nickte, und Mrs. James schrieb. »Keine männlichen Progressiven?«
»Nein.«
»Aus welchem Grund?«
Cedric unterdrückte ein Seufzen. Mr. Hanson schien neu im Referat zu sein. Zumindest war in den letzten Jahren immer ein anderer zur Inspektion gekommen, der die Verhältnisse in White Chapel bereits kannte. Nun aber schien es, als müsse er alles von Neuem bis ins kleinste Detail erklären.
»Wir haben unsere Mitarbeiter nach Qualifikation ausgewählt. Leider standen keine entsprechenden männlichen Bewerber zur Debatte.«
»Verstehe.« Mr. Hanson nickte erneut. »Nun dann, wollen wir mit dem Rundgang beginnen? Sie können mir währenddessen sicher noch einige Fragen beantworten.«
»Natürlich«, sagte Cedric. »Was immer Sie wissen wollen.«
Katherine öffnete die Tür.
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