Die Blutige Sonne - 14
bevor sie ohnmächtig wurde und die Kristallstruktur damit verwischen konnte. Wie ist dir das gelungen, Jeff?“
„Das weiß ich nicht.“ Kerwin hatte ganz automatisch gehandelt, als ob irgendeine Warnung einen Reflex in seinem Gehirn ausgelöst habe. „Glück. Instinkt. Wer weiß?“
Elorie weinte vor Erschöpfung. Ihr Gesicht war totenblaß, und ihr Schluchzen klang so matt, als habe sie nicht einmal mehr die Kraft zu atmen. Rannirl hob sie auf wie ein Kind und verließ so schnell er konnte das Labor. „Bringt Tani herauf, rasch!“ rief er über die Schulter zurück.
„Taniquel ist mit Auster im Luftschiff unterwegs“, sagte Kennard. „Ich versuche, mich mit ihnen in Verbindung zu setzen, aber bis dahin …“
Rannirl stieß mit dem Fuß die nächste Tür auf. Es war einer der unbenutzten Räume. Er legte das Mädchen auf eine mit verstaubtem Gobelin bezogene Couch. Jeff blieb hilflos an der Tür stehen. „Kann ich etwas tun?“
„Du bist Empath“, antwortete Rannirl.
Ganz plötzlich erinnerte sich Jeff, was Taniquel in der Nacht seiner Tests für ihn getan hatte, als er beim Versuch, seine Barrieren zu durchbrechen, zusammengebrochen war.
„Ich werde tun, was mir möglich ist.“
Elorie warf den Kopf von einer Seite zur anderen wie ein eigensinniges Kind. „Nein“, rief sie erregt, „laßt mich, mir geht es gut.“
Aber sie mußte zweimal tief Atem holen, um die paar Worte zu sprechen. Ihr Gesicht war kalkweiß.
„So ist sie immer“, sagte Rannirl. „Tu, was du kannst, Jeff.“ Er ging hinaus, und Jeff ließ sich bekümmert neben das Mädchen auf die Couch fallen.
„Ich verstehe nicht viel davon, Elorie“, sprach er, „aber ich werde alles tun, was ich kann, um dir zu helfen.“ Er erinnerte sich, wie Taniquel ihm ihre Kraft übertragen hatte, und nahm Elories Hände in die seinen; sie waren starr und eiskalt. Fast ohne zu denken, begann er, sie zu kneten, zu massieren. Er versuchte, seine Empfindungsfähigkeit voll einzusetzen, um Elories Schwäche zu erfühlen.
Ihre kraftlose Müdigkeit, das An fluten und Abebben ihres Bewußtseins fühlte er wie einen körperlichen Schmerz. Das Mädchen war fast ohnmächtig. Vorsichtig versuchte er, mit ihr in Kontakt zu kommen, mit seinem bis zur Verfeinerung gesteigerten Bewußtsein ihre Ermüdung zu erfühlen, sie auf sich zu nehmen, seine eigene Kraft in sie zu zwingen. Er kniete neben ihr, ihre schlaffen Hände zwischen den seinen, und er spürte, wie das Leben schrittweise in ihren ausgepumpten Körper zurückkehrte. Ihm schien es eine Ewigkeit zu dauern, obwohl nur ein paar Minuten vergingen, bis Elorie die grauen Augen öffnete und ihn ansah; ihr Gesicht war noch immer sehr blaß, und die weichen, kindlichen Lippen waren noch immer ohne Farbe.
„Danke, Jeff“, flüsterte sie. In einem Moment des Gefühlsüberschwanges, der stärker war als alles, was er bisher gekannt hatte, breitete er die Arme aus. Das Mädchen schmiegte sich hinein, legte ihr Gesicht an das seine, und dann fühlte Kerwin in einer raschen, eigenartigen Mischung von Wahrnehmung, wie ihre Lippen sich trafen. Er erlebte diesen Augenblick in gesteigertem, verdoppeltem Bewußtsein; er fühlte Elories warmen, zarten Körper in seinen Armen, ihre mit stählerner Stärke gemischte Zerbrechlichkeit, ihre alterslose Kindlichkeit, die ruhige Weisheit ihrer Kaste und ihres Amtes. Und gleichzeitig fühlte er verschwommen Elories bewußtes Erleben, die Mattigkeit und gleichzeitig die Heftigkeit, mit der sie seinen Kuß empfing, ein fremdartiges und nur halb verstandenes Erwachen ihrer Sinne. Er teilte ihr eigenes Staunen, ihre eigene Überraschung mit ihr, denn seine Berührung war nicht väterlich und unpersönlich; teilte ihr scheues Erschrecken über die Stärke seines Leibes…
„Elorie“, flüsterte er, aber es war wie ein Triumphschrei. „Elorie, mein Liebling…“
Dann kam ein lähmender Moment krampfhafter, erschütternder Angst, die jeden Nerv seines Körpers umklammert hielt… Die Verbindung brach ab, wie ein Kristall zerbricht, und Elorie, blaß bis in die Lippen, versuchte, sich von ihm frei zu machen. Sie kämpfte wie eine Katze. „Nein“, keuchte sie. „Nein, nein…“
Verwirrt, vom Schock betäubt, gab Kerwin sie frei. Sie richtete sich auf und rückte von ihm ab, die Hände auf der Brust, die sich in keuchenden Atemzügen hob und senkte; sie schluchzte erschrocken, fast unhörbar. In ihren Augen stand nackte Angst, und die Barriere war wieder zwischen
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