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Die Blutmafia

Die Blutmafia

Titel: Die Blutmafia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Und er, er hatte es noch nicht einmal bemerkt. Sein Herz pumpte, und er hatte sich unter dem Gürtel den obersten Knopf der Hose geöffnet, um besser Luft zu bekommen. Getrabt, gerannt, Schweiß abgesondert – eine Reise durch das Land des Selbstmitleids, die letzte Reise …
    Die Zelle roch nach abgestandenem, bitterem Zigarettenrauch. Am Boden lag eine Papiertüte mit trockenen Brötchen. Eines war herausgekugelt. Jemand hatte wohl Enten füttern wollen und es dann aufgegeben. Die Hälfte der Telefonbuchseiten waren herausgerissen.
    Aber er brauchte ja auch kein Telefonbuch. Diese Nummer wußte er auswendig.
    »Kiefer.«
    »Ich bin's, Ludwig.«
    »Na, hat dich das Gewitter noch erwischt?«
    »Wie bitte? – Ach so … Ja, auch. – Hör zu, Ludwig, ich habe über alles nochmals nachgedacht.«
    Vielleicht hätte er die folgende Pause nicht machen dürfen. Es kam auch keine Antwort. Aber er konnte die Spannung spüren – Ludwigs angsterfüllte Erwartung, daß er jetzt absage, daß er mit einem einzigen Satz den Plan zunichte machen könnte.
    »Ludwig – du hast dir da zuviel vorgenommen.«
    »Das glaube ich nicht, Rio.«
    »Doch. Allein schaffst du das nicht. Nicht beide.«
    »Es ist zu schaffen, o doch! Bei einer ordentlichen Vorbereitung …«
    »Auch dann nicht«, widersprach er.
    »Und? Was heißt das?«
    Und wieder die Pause. Nun wurde sie lastend. Auch für Rio. Noch konnte er abspringen … Noch immer … Aber hatte er deshalb Ludwig angerufen? Dann war auch das vorbei. Und es war ihm, als habe eines dieser alten Zugsignale seiner Spielzeuganlage aus der Kindheit den Blecharm hochgehoben, um Grün zu zeigen, um den Weg freizugeben …
    »Hör zu, Ludwig. Ich hab' das alles genau durchgedacht. Ich übernehme Berlin. Ich meine, du sprichst spanisch, du kennst dich ein bißchen auf Mallorca aus und hast dort auch Kontakte. Das trifft auf mich alles nicht zu.«
    »Und was heißt das – ›Ich übernehme Berlin‹?«
    »Alles, Ludwig. Alles, von A bis Z. Wir brauchen darüber gar nicht zu diskutieren. Mir geht es wie dir: Ich will, nein, ich muß das hinter mich bringen.«
    »Und … und du hast wirklich darüber nachgedacht?«
    »Ja, Ludwig, glaub mir. Und noch etwas: Es muß schnell passieren, hörst du, so schnell als irgend möglich …«
    Rio stieg am Freitag der darauffolgenden Woche in Berlin aus dem Intercity. Eine verwunderte Vera hatte ihn in München am Bahnhof verabschiedet; daß Rio den Zug nahm statt eines Flugzeugs, konnte sie kaum fassen. Er aber hatte ihr etwas von ›vorverlegten Terminen‹ vorgeflunkert, denn den wahren Grund konnte er ihr nicht nennen: die strikte Waffenkontrolle auf den Flugplätzen.
    Eine strahlende Vera winkte ihm nach. Wie sollte sie auch nicht? Rio war endlich vernünftig geworden, nahm die Zügel wieder auf, wollte sogar eine Art Kulturreportage, einen Bericht über die Berliner Theaterszene schreiben – und zu allem hatte er sich sogar noch am Vormittag zu Dr. Jan Herzog schleppen lassen.
    »Alles bestens, wie immer, Rio. Eine kleine Blutabnahme vielleicht noch? Weißt doch …« – Herzogs Leukozyten! Er zählte sie, die Wächter des Immunsystems, wie ein Förster seine Hirsche. Und Vera stand immer an seiner Seite, mit diesem aufmerksamen Blick, ihrem allzeit bereiten Nicken.
    »Das kapierst du doch, Rio, nicht?«
    Und ob er kapierte! In ihrem Gesicht, ihren Augen sah er sich wie in einer Art Spiegel. Ein- oder zweimal war er nahe dran gewesen durchzudrehen, aber das war vorüber, nun spielte er die Rolle, die ihm Vera auf den Leib geschrieben hatte; er spielte sie zur Zufriedenheit, alles klappte hervorragend. Vera hatte einfach die Uhr zurückgedreht, und schon war er wieder da, ein bißchen zerstreuter vielleicht als früher, aber alles in allem der gute alte Rio …
    Er betrat den Bahnhofsvorplatz, Taxis fuhren vor, spuckten Rauchwolken; Frauen mit bunten Kopftüchern schleppten Koffer; zwei Gruppen dunkelhaariger Menschen stürmten aufeinander zu, fielen sich küssend und schreiend in die Arme – Türken! Es war ein wahres Volksfest.
    Rio sah dies alles, ohne die Bilder wirklich in sich aufzunehmen. Er fühlte sich trotz der langen Fahrt noch nicht einmal müde. Eine überreizte, gläserne Aufmerksamkeit durchdrang ihn; was er sah, sah er, als analysiere er einen Film. Seine neue Rolle hatte begonnen: die Rolle des beobachtenden, gesichtslosen Attentäters, des Mannes, der zuschlägt, um sich dann ins Nichts aufzulösen.
    Er griff in die Tasche seiner

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