"Die Bombe is' eh im Koffer"
gewundert. Das war kurz nach der Zeit, als alle Tankstellen auf einmal anfingen, auch noch Fertigbäcker und Brötchenanbieter zu werden. Mit seiner Beobachtung ging er zu BP , machte denen ordentlich Angst und bot ihnen zugleich an, ein hauseigenes Kontrollsystem zu installieren nach dem Motto: Besser, man schlägt selbst Alarm, als dass die Lebensmittelaufsicht es tut. Berufserfahrung hatte er bis dahin ungefähr so viel wie ich als Molekularbiologe. Er war ehemaliger BWL -Student, ich bin nicht mal sicher, ob er einen Abschluss hatte. Aber er bekam tatsächlich den Zuschlag. Sein einziges Problem war: Er hatte nicht nur keine Erfahrung, er hatte auch nicht genug Leute. Nur den Auftrag. Also tat er, was man halt so tut: Er schaltete Anzeigen. Und als ich mich bewarb, wurde ich auch prompt genommen– die Erfahrung aus meiner Lehrzeit als Bäcker war da natürlich hilfreich.
Mein Chef kann in seinem BWL -Studium nicht nur geschlafen haben: In puncto Sparsamkeit hatte er jedenfalls ausgezeichnet aufgepasst. Für sämtliche BP -Tankstellen der Bundesrepublik heuerte er fünf Außendienstmitarbeiter an. Und ab da lebte ich ein Jahr lang im Hotel.
Am Laptop tüftelte er für uns Fahrpläne aus, aber irgendwie scheint es kein richtig vernünftiges Programm zum günstigen Preis für solche Sachen gegeben zu haben. Meine längste Strecke war: Sonntagnachts in Frankfurt weg nach Kiel. Und Montagabends zum Termin nach Rosenheim. Tags drauf ging es dann nach Rostock. Jede Kontrolle dauerte drei Stunden. Und dementsprechend sah dann mein Leben auch aus.
Jetzt muss ich schon zugeben, dass ich eigentlich sehr gern Auto fahre. Man sieht mal die Republik, das ist ja auch nicht so verkehrt, man hört gute Musik. Aber so gern kann man gar nicht Auto fahren, wie man es in diesem Job tun musste. Nach einem Jahr hatte ich praktisch überhaupt keinen Hintern mehr in der Hose, so dünn gesessen war der. Und auf die Dauer sind Hotels auch nicht so lustig. Gut, manchmal waren richtige Edelhäuser dabei, das war schon prima. Dafür ist man dann in Messezeiten in den gruseligsten Motels abgestiegen. Und wenn man zwei Meter groß ist wie ich, dann ist das mit den Betten auch nicht immer so einfach.
Die Arbeit selbst war auch nicht ermutigend. Das ist ja eine schöne Idee mit dem Essen beim Tanken, aber ich fürchte, wenn man die deutschen Tankwarte zu Nebenerwerbsgastronomen machen möchte, dann kann man auch gleich versuchen, sie nebenher zu Zahnärzten auszubilden. Ich hab da jedenfalls Sachen gesehen, die waren reichlich beunruhigend. Da wurden von Brötchen, die nicht verkauft worden waren, die Beläge säuberlich heruntergepflückt, samt Butter und Krümeln in Zellophan gelegt und tags drauf auf neuen Brötchen platziert. Das ist mir in den neuen Bundesländern unter die Augen gekommen, aber die alten Bundesländer waren auch nicht besser. Es gab da zum Beispiel eine Tanke in Hamburg Rotherbaum, in der irrsinnig nette Leute gearbeitet haben, aber ausgesehen hat’s da wie auf der letzten Müllhalde. Dabei war das Ding angeblich neu eröffnet. Also hab ich den Leuten dort tief in die Augen gesehen und ihnen gesagt, woran es hapert und was sich dringend ändern muss, wenn sie nicht wollen, dass ihnen mal irgendeine Lebensmittelaufsicht den Laden dichtmacht. Zwei Tage später kam ich an derselben Tanke wieder vorbei, da sah es noch genauso aus. Und es wäre ja schön gewesen, wenn dafür wenigstens von den 600 Mark pro Mann und Stunde, die BP berechnet wurden, sagen wir: ein Viertel bei mir angekommen wäre. Aber letztlich war es halt doch nur ein ganz normales Gehalt, für das ich mir den Hintern dünn rodelte wie Butterbrotpapier.
Nach einem Jahr war ich derart leergefahren, dass ich nur noch von Autobahnschildern geträumt habe. Also habe ich gekündigt. Es gab ja genug andere Jobs. Meine Frau zum Beispiel, mit der ich seit 1986 verheiratet bin, ist Altenpflegerin. Also dachte ich mir: Probierst du das doch auch mal. Das ist wenigstens ein richtig sinnvoller Beruf, da hilft man Menschen, die es brauchen– warum denn nicht?
Als ich dort meine nächste Ausbildung anfing, war ich der einzige Vierzigjährige und der einzige Mann in einem Haufen von jungen Mädels. Aber das war nicht meine Welt. Was ich da mitkriegte, war eine ziemlich frauenlastige Gesellschaft, in der ich zwar ganz gut durchkam, in der allerdings unter den Kolleginnen furchtbar übereinander hergezogen und aufeinander eingehackt wurde. Ich kenne ja nicht viele Heime,
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