"Die Bombe is' eh im Koffer"
in fünfzig Magazine. Fertig, aus. Querschnittsgelähmte dürfen ja auch Flüssigkeiten mit an Bord nehmen. In ihren Urinbeuteln.
Nicht alle Querschnittsgelähmten tragen Urinbeutel. Aber viele, und wenn ich richtig informiert bin, anfangs sogar alle. In diese Beutel geht bis zu einem halben Liter Flüssigkeit. Man ertastet sie bei der Kontrolle, sie sind üblicherweise am Bein befestigt, dann tastet man den Schlauch entlang nach oben. Der Beutel ist manchmal leer, manchmal aber auch nicht. Wenn nun die ganze Flüssigkeitsregelung irgendeinen Sinn haben soll, dann muss man jetzt sagen: So nicht. Das Zeug ist zwar gelblich, aber das kann ja genauso gut Janzin sein. Nein, ich will jetzt nicht, dass alle Querschnittsgelähmten nur 100-Milliliter-Beutel haben dürfen. Aber es wäre überhaupt kein Akt, den Behinderten zu bitten, einfach den Beutel auszutauschen. Den schraubt man unten ab und an, das ist nicht komplizierter, als eine Glühbirne zu wechseln. Und wir werfen den Beutel dann weg wie eine Nachfüllpackung Shampoo.
Aber das macht niemand.
Ich hab einmal probiert, das vorzuschlagen. Aber die Reaktion war nur ein kollektiver Aufschrei: » Ach was, jetzt sollen wir wohl auch noch in der Pisse rumrühren?!?«
Also endet hier die Kontrolle. Ganz offiziell. Übrigens auch bei den Amerikanern, obwohl die generell gründlicher gucken. Man kann es auch so übersetzen: Hier sagt der Staat nichts anderes als: » Ach lass nur, die sind doch behindert.« Hier hört sozusagen ganz offiziell die Gleichberechtigung auf: Behinderte, sagt der Staat, sind ungefährlich, und freundlicherweise lässt er noch offen, aus welchem Grund– vielleicht weil sie arm dran sind oder doof oder körperlich eh nichts auf die Reihe bringen. Nach dem Motto: Unsere Behinderten– dumm, aber harmlos. Zum Ausgleich bemüht man sich dann aber um eine besonders schöne Formulierung des Sachverhalts: Es gibt bei uns eigentlich keine Behinderten, es gibt nur Fluggäste mit Mobilitätseinschränkungen.
Man könnte sagen, dass an dieser Stelle die Diskriminierung, die Geringschätzung sogar erst richtig anfängt. Behinderte sind nicht dümmer als andere, also sind sie auch nicht harmloser als andere. Gleichbehandlung beginnt mit der Einsicht, dass auch ein Behinderter keineswegs automatisch ein Engel ist.
Ansonsten ist medizinisches Zubehör eher unproblematisch, und das muss auch so sein, weil sonst die Amerikaner überhaupt in kein Flugzeug mehr dürften. Auch von uns hat wohl jeder irgendwo in seinem Badezimmerschränkchen ein paar Tabletten, und es stimmt auch, dass die mit den Jahren immer mehr werden. Wenn ich also hier und da einen deutschen oder einen italienischen Trolley durchsucht habe, da sind mir halt mal eine oder zwei Schachteln Tabletten entgegengefallen, und das war’s dann. Aber bei den Amerikanern fängt’s da erst an.
Der Amerikaner verpackt alle seine Tabletten in diesen orangefarbenen Döschen, die man auch aus Filmen kennt. Alle. Und er nimmt reichlich davon mit. Von hundert Amerikanern haben garantiert fünfundneunzig diese Döschen dabei, und nicht nur eins davon. Ich würde sagen, im Durchschnitt mindestens zehn. Wenn’s drei Döschen sind, dann staunt man, weil’s so wenig sind, wenn’s zwanzig sind, dann ist das zwar noch nicht die absolute Spitze, aber schon mal ganz gut. Schuld ist, glaube ich, Lee Iacocca, der ehemalige Boss von Chrysler. Der hat zwei Bücher geschrieben, in denen er die segensreiche Wirkung von Aspirin zur Vorbeugung gegen Herzerkrankungen ordentlich breittritt. Und weil die Bücher Bestseller sind, löffeln die Amerikaner jetzt Aspirin wie andere Leute Buchstabensuppe. Ich hatte zwar nicht die Zeit, sämtliche Döschen durchzufummeln und alle Etiketten zu lesen, aber Aspirin ist mit das Häufigste, was einem entgegenfällt– ich glaube, in den USA kriegen das sogar schon die Säuglinge.
Ebenfalls gut vertreten sind Betablocker, weil der Amerikaner ja gerne möglichst viel von allem isst, was einen hohen Blutdruck erzeugt. Das muss dann der Betablocker wieder einpegeln. Und die dritte Gruppe von Medikamenten sind Vitamine. Man könnte meinen, dass es in den ganzen Vereinigten Staaten kein Obst mehr gibt und auch kein Gemüse. Oder dass die Amerikaner alle keine Zähne zum Kauen mehr haben und deshalb die Vitamine in Pillenform einwerfen müssen, aber das kann schon deshalb nicht stimmen, weil’s keine Altersfrage ist. Manager, Teenies, Greise, alle futtern Vitaminpillen. Mein
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