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"Die Bombe is' eh im Koffer"

"Die Bombe is' eh im Koffer"

Titel: "Die Bombe is' eh im Koffer" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Lucchesi
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ja, Inder seien alle klein. Aber das wissen zumindest wir, die wir » Indiana Jones und der Tempel des Todes« gesehen haben: Der Inder kann ein ziemlicher Schrank sein. Der hier aber war eher so ein Nachtkästchen. Und er hatte enorme Schlagseite, wegen der Tasche, die er schleppte. Es war eine ganz normale dunkle Reisetasche, aber irgendwas war da drin, was so viel wog wie ein Panzerschrank oder ein sehr großer Inder. Und dann wird man neugierig.
    Die Neugier eines Luftsicherheitsassistenten ist schwer zu beschreiben. Andere Leute sind beim Betrachten von einem kleinen Inder mit einer irrsinnig schweren Tasche ja vielleicht auch neugierig. Aber der Unterschied ist: Wir wissen, dass wir gleich reinschauen dürfen. Das ist keine Ich-will-das-jetzt-wissen-ich-muss-das- JETZT -wissen-Neugier, das ist eher wie wenn man Hunger hat, das Essen ist schon bestellt und jetzt muss es nur noch kommen: Man spürt beinahe so was wie eine richtige kleine Vorfreude, man hat Appetit auf die Tasche von dem Inder, und man wartet geduldig, bis er kommt. Manchmal gibt’s sogar einen Aperitif. Wie dieses Mal.
    Eine Tasche schleppen ist ja eine Sache, das allein sagt noch nicht allzu viel aus. Fünf Kilo, zehn Kilo sind nach einer halben Stunde auch ziemlich schwer, das kann einen ganz schön runterziehen. Aber wenn so ein kleiner Inder dann am Einweiser vorbeigeht, die Tasche erst mal abstellt und sich danach fast einen Leistenbruch hebt, wenn er die Tasche auf das Rollband vor dem Röntgengerät wuchtet, dann ist man natürlich gleich doppelt neugierig. Und man weiß ja: Jetzt dauert’s nur noch ’ne Minute oder so, und dann kennt man das Geheimnis.
    Am Monitor konnte man es schon ziemlich genau eingrenzen: ein gewaltiger Quader, knallorange, das konnten eigentlich nur Getränkekartons sein. Die Frage war allenfalls noch, was für Kartons man in großen Mengen nach Indien fliegen musste. Durfte man womöglich die heiligen Kühe nicht melken, und das war alles Milch, fettarm, 1,5 Prozent? Ich wartete, bis die Tasche aus dem Röntgengerät rollte, und zog sie zu mir. Sie war so schwer, da schnaufte auch ich.
    » Kann ich mal reingucken?«
    Er nickte freundlich.
    Ich öffnete den Reißverschluss. Und blickte auf zwanzig Kartons Apfelsaft. Nicht die Literkartons, sondern die 1,5-Liter-Version. Dreißig Liter Apfelsaft. Ich sah ihn an. Er sah mich an. Mit leuchtenden Augen.
    » Das ist– Apfelsaft«, sagte ich geistreich.
    » Apple juice«, nickte er und strahlte über das ganze Gesicht. Offenbar wirkte Apfelsaft ab dreißig Litern auf Inder euphorisierend.
    » Den können Sie nicht mitnehmen«, sagte ich. » You can’t take it with you.«
    Das Leuchten verschwand, als hätte er es ausgeknipst. Er sah mich verwirrt an.
    » Zu viel«, sagte ich » too much! Thirty litres! Only one litre is allowed. Nur ein Liter.«
    Mit den 100-Milliliter-Sperenzchen fing ich gar nicht erst an.
    Sein Gesichtsausdruck veränderte sich.
    Er war jetzt nicht mehr verwirrt, er war erschüttert. Dann entsetzt. Dann am Boden zerstört.
    » Das ist doch nicht so schlimm«, versuchte ich ihn zu trösten, » das ist doch nur Apfelsaft.«
    » Yes, apple juice«, sagte er und bekam dabei ganz feuchte Augen, » apple juice is sooo good.«
    » Gibt’s denn in Indien keine Äpfel?«, fragte ich ihn. » No apples in India?«
    » Yes, apples in India«, nickte er eifrig, » but no juice. No juice in India.«
    Und mit Händen und Füßen erklärte er mir, dass es in seiner Heimat keinen Apfelsaft gäbe. Äpfel schon, aber eben keinen Apfelsaft, weil ihn offenbar keiner dort herstellte. Das sei seine schönste Entdeckung in Deutschland gewesen: Apfelsaft. Und deshalb hatte er Saft für die ganze Verwandtschaft gekauft. Er hatte sie überraschen wollen.
    » Surprise«, sagte er flehend, » big suprise! Only juice!«
    Da hatte er schon Recht: Es war nur Saft. Und im Reisegepäck wäre das auch kein Problem gewesen.
    » Wenn’s ihn nicht stört, nochmal in der Schlange zu stehen, kann er den Saft doch noch beim Check-in aufgeben«, sagte mein Kollege Frank, der neben mir stand. Der kleine Inder blickte hoffnungsvoll zu uns.
    Wir sahen auf die Uhr, dann schüttelten wir den Kopf. Es war zu knapp.
    » Haben Sie Freunde hier? Verwandte?«, fragte ich ihn. » Jemand, der den Saft für Sie noch zum Check-in bringen kann? Relatives? Friends?« Aber er schüttelte den Kopf.
    » Ich kann es Ihnen nicht erlauben«, sagte ich und zeigte auf unsere Müllcontainer. Aber noch während

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