Die Botin des Koenigs reiter2
geschah etwas Merkwürdiges. Es war unmöglich, dass sie etwas so Leises über den Schlachtenlärm hinweg hören konnte. Nein, es war eher, als spürte sie es, als reiste es durch die Baumwurzeln unter ihren Füßen oder als flüsterten es die Äste über ihr einander zu.
Varadgrim, Varadgrim, Varadgrim …
Und weiter huschte es auf die Lichtung zu. Hatte sie das wirklich gehört … oder gespürt? Irgendwie erinnerte es sie an ihren Traum. Es hatte diesen Beigeschmack von Dunkelheit. Noch während sie darüber nachdachte, wurde sie von einer schrecklichen Vorahnung beinahe überwältigt. Es schien, als wäre die Luft selbst angespannt, als laste ein gewaltiger Druck auf ihr und stünde kurz vor der Explosion.
Auf der Lichtung erklang Donnergrollen. Der Boden unter ihren Füßen bebte. Die Schlacht schien stillzustehen, als die Kämpfenden ebenfalls die Veränderung wahrnahmen. Das Grollen wurde lauter und schwoll zu einem unerträglichen Brüllen an, bis es schließlich zum Höhepunkt kam – ein ohrenbetäubendes, reißendes Geräusch innerhalb der Lichtung.
Die Reihen der Verteidiger lösten sich auf, und Chaos brach aus. Erdriesen warfen ihre Waffen weg und rannten davon. Schilde fielen, und Gestalten rannten, flackerten im Schein von Laternen und Lagerfeuern.
Glühend weiße Energie sammelte sich um die Obelisken, knisterte auf und ab, als wolle die Magie der Schutzzauber Kraft sammeln.
Eine dunkle Gestalt erschien zwischen zwei Obelisken. Erdriesen und Sacorider flohen entsetzt. Kunstvolle Spinnennetze von Energie erstreckten sich über die Lichtung, explosiv
und hell, beleuchteten den Himmel wie Blitze, brannten sich durch alles und jeden in ihrem Weg. Gleißende Ranken schossen auf die Gestalt zu wie lebendige Angreifer, verschmolzen mit ihr, ließen sie rückwärts taumeln. Dieser Kampf ließ die Gestalt einen Moment verharren, aber dann schüttelte sie die Magie ab und ging zwischen den Obelisken hindurch.
Die Schutzsteine barsten.
Die weißen Energieblitze zischten und erloschen, und die Gestalt verschwand wie ein Schatten in der Nacht.
Und dann war nichts mehr zu sehen.
Nichts außer Rauch. Dunkelheit senkte sich über den Wald und brachte das Nachleuchten der Magie zum Erlöschen. Hier und da brannten noch kleine Lagerfeuer und Laternen, unbedeutend und unglaubwürdig nach den Ereignissen dieser letzten Augenblicke.
Nichts regte sich. Waren alle tot, oder waren sie wie Karigan zu erschrocken, um sich zu regen?
Nach längerer Stille waren schließlich ein paar Schmerzens- und Angstschreie zu hören, jemand rief die Götter an, ein anderer hustete. Karigan selbst stellte fest, dass sie heiser war. Hatte sie die ganze Zeit geschrien, oder kam die Heiserkeit vom Zurückhalten der Schreie, die sie nicht hatte ausstoßen dürfen?
Der Schrecken, der einmal die Lichtung bewohnt hatte, näherte sich ihr. Er kam auf sie zu wie eine unausweichliche Mauer, schien sie auf allen Seiten zu umgeben. Ihre Schreie kamen nur als Wimmern heraus.
Eine Gestalt trat aus dem Schatten und blieb vor ihr stehen. Sie bestand aus Nacht, und nur die schwarzen, staubigen Lumpen, in denen sie begraben gewesen war, verliehen ihr die Gestalt eines Menschen. Der Mond schien auf das bleiche
Gesicht einer Leiche. Eine eiserne Krone aus stilisierten, miteinander verflochtenen Zweigen saß auf ihrer Stirn.
Sie hob den Arm und zeigte mit einem knochendünnen Finger auf Karigan. Die Geste war wie ein Lanzenstoß in Karigans Brust, und sie taumelte rückwärts.
»Galadheon.« Die Stimme der Gestalt krächzte aus dem Nichts, klammerte sich an Karigan, umschlang ihre Kehle mit kalten Fingern. » Verräter.«
UNTER DEM GRABHÜGEL
Unversehens ließ die Gestalt aus Lumpen und Schatten den Arm sinken. Sie hob den Kopf und begann seltsamerweise zu schnuppern. Schließlich wandte sie ihren toten Blick etwas zu, das sich hinter Karigan befand.
Karigan fuhr herum. Noch bevor ihre Augen den Eleter mit dem Bogen wahrnahmen, bevor sich ihr gesträubtes Haar wieder gelegt hatte und bevor sie auch nur Luft holen konnte, streifte ein Pfeil ihre Wange und ihr Ohr und raste dann weiter.
Sie fuhr herum und verfolgte den Flug des Pfeils, aber die geisterhafte Gestalt war verschwunden, der Pfeil fuhr in einen Baum. Die Aura von Entsetzen, die den Geist umgeben hatte, war verschwunden, das bedrückende Gewicht seiner Anwesenheit vom Wald genommen worden.
Kühle Nachtluft streifte Karigans Gesicht. Mit zitternder Hand berührte sie Wange und Ohr.
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