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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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ihn an mich, vergrub das Gesicht in den Geruch, auf der Suche nach einem anderen Geruch, einer Haut – deiner.

D as Wetter war fast sommerlich geworden, mit milden Nachmittagen, an denen man draußen spazieren gehen konnte. Dem Pferd ging es besser. Max arbeitete immer noch an seinem Boot. Es sah so aus, als hätte er es gar nicht mehr so eilig, damit fertigzuwerden. Er fing weiter seine Schmetterlinge und sperrte sie in den Käfig, um sie irgendwann vor Morgane fliegen zu lassen.
    Morgane hatte ihren Tag damit verbracht, Kronen zu basteln. Sie hatte die Nase voll davon. Auch vom Bedienen im Gasthof.
    Sie hatte sich mit Raphaël gestritten.
    »Wonach sehnst du dich?«, fragte sie mich und rutschte ein Stück, damit ich mich neben sie auf die Bank setzen konnte.
    »Wonach ich mich sehne … Ich weiß nicht … Jeden Tag nach etwas anderem.«
    Sie nickte.
    »Und heute, wonach sehnst du dich heute?«
    Ich dachte wieder an dich. Sehnsucht überfiel mich und Verlangen. Ich erinnerte mich an die weißen Wände. An die Stimme der Krankenschwester, die mir mitgeteilt hatte, dass es dir besser ginge, weil du aufgestanden warst. Deine Hände lagen auf der Tischfläche. Alles in Ordnung, hast du geflüstert. Dein Blick war ruhig. Ich habe deine Hand genommen und die Innenfläche geleckt. Die Schwester hat uns gesehen, sie hat gelächelt.

    Ich hätte mit deinem toten Körper geschlafen, wenn sie dich nicht weggetragen hätten.
    »Dein letzter Typ, warum hat’s geknallt zwischen euch?«
    »Es hat nicht geknallt.«
    »Was ist dann passiert?«
    »Nichts … Das ist eine alte Geschichte.«
    »Verrätst du mir den Titel? Der Titel ist noch nicht die Geschichte.«
    »Später.«
    »Später mag ich nicht. Hast du gesehen, das ist schwarze Spitze aus Chanterelle.«
    Sie zeigte mir den dunklen Saum der Unterwäsche, die sie unter dem Rock trug.
    Raphaël kam zu uns. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Mit seinem blauen Matrosenhemd sah er aus wie ein Zigeuner. Er sah Morgane an. Seit einiger Zeit war sie gereizt. Ich weiß nicht, warum sie sich gestritten hatten.
    »Hör auf damit!«
    »Womit?«
    »Mit deinem Rock zu spielen, wenn Max da ist! Ich habe es dir schon tausendmal gesagt.«
    Morgane zuckte die Schultern.
    Die Sonne schien noch, aber über dem Meer war der Himmel bereits schwarz. Dicke Wolken ballten sich zusammen. Es ging kein Wind, es lag nur diese Spannung in der Luft. Die Wolken schoben sich vor die Sonne. Morgane schimpfte. Raphaël ging wieder ins Haus.
    Wir blieben noch ein bisschen sitzen.
    »Hat er dich gut gevögelt, der Typ, mit dem du drei Jahre zusammen warst?«
    »Gut, ja.«
    Sie nickte, und ich wandte mich ab.

    »Wie gut?«, fragte sie.
    Ich konnte nicht antworten.
    Ich ging in mein Zimmer, trat ans Fenster und sah hinaus zwischen die Wolken, dorthin, wo sie aufgerissen waren. Zu diesem Teil des Himmels und des Lichtes, von dem manche sagen, dass man niemals hinsehen dürfe, aus Furcht, das Gesicht der Jungfrau zu erblicken. Es heißt, die Frauen, die dieses Gesicht erblickt hätten, seien Herumirrende geworden. Dazu verdammt, in die Sümpfe zu gehen und niemals wieder zurückzukehren. Raphaël hatte sie zu Skulpturen gemacht.
     
    Wegen des Gewitters fiel wieder mal der Strom aus. Raphaël arbeitete im Kerzenlicht, er hatte eine ganze Kiste dicker Kerzen in einem der oberen Zimmer gefunden.
    Die Flammen beleuchteten die Wände und die Tonfiguren. Ich sah ihn durch den Spalt. Ich sah auch mein Abbild im Spiegel.
    Ich mied meinen Blick.
    Als ich wieder nach unten ging, um Raphaël zu besuchen, war die Tür zum Atelier offen. Ein kleiner Seiltänzer aus Lehm stand auf den Holzstufen.
    Er arbeitete an einem anderen, der auf einem Sockel stand, mit nassem Stoff bedeckt.
    Ich sah ihm gern beim Arbeiten zu, seinen feuchten Fingern im Lehm.
    »Weinst du?«, fragte er.
    »Nein.«
    »Was ist das dann, wenn du nicht weinst?«
    »Das ist der Regen, Raphaël, der viele Regen an den Fenstern … Vielleicht auch die Kerzen … Der Rauch, er brennt in den Augen.«
    Er wischte sich die Hände an einem Lappen ab, griff nach seiner
Jacke und wühlte in den Taschen. Dann holte er eine kleine Metalldose heraus. Darin waren schwarze Pastillen, die wie Kaffeebohnen aussahen. Er streckte mir eine Pastille hin.
    »Da, nimm.«
    »Was ist das?«
    »Temesta«
    »Ich kenne Temesta, das ist keines.«
    »Sag dir einfach, dass es welches ist. Oder Valium. Wollen wir lieber sagen, dass es Valium ist?«
    Er schob mir die

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