Die braune Rose
…«
»Es sind vielleicht Phantasien von Harry. Ich werde nie nach Alabama gehen.«
»Aber die Briefe.«
»Ich kann diese alte Miß Shirer verstehen. Sie kämpft wie eine Löwin um ihren Jungen. Man würde Harry in Birmingham lynchen, wenn er mit einer weißen Frau käme.«
»Ein guter, alter Brauch, der leider in unseren Breiten in Vergessenheit geraten ist«, sagte Koeberle hämisch. »Wir ändern also deinen Namen.«
»Nein!« sagte Marianne hart. »Nun gerade nicht.«
»Was heißt das?« rief Koeberle erregt.
»Das heißt, daß es für deine Gemeinheiten eine ewige Strafe ist, daß ich deinen Namen trage. Durch dein ganzes Leben wird diese Belastung auf dir liegen. Und sogar auf meinem Grabstein wird er stehen, über den Tod hinaus: Frau des Stadtrates – oder Ministers – Eduard Koeberle … das werde ich extra anordnen. Und darunter: Sie hatte ein Negerkind.«
»Du bist verrückt«, stotterte Koeberle entsetzt. »Das wird keine Friedhofsverwaltung erlauben.«
»Du bist ein so gemeines Aas«, sagte Marianne leise, »daß ich alles tun werde, damit dein Name, auf den du so stolz bist, mit Harriet für immer verbunden bleibt. Und nun geh, ich brauche keine Zuschauer, die meinen Zusammenbruch studieren. Wenn Harriet sich etwas angetan hat, werde ich meine persönliche Rache an dieser bornierten, satten, gemeinen Menschheit nehmen.«
»Du bist irr«, sagte Koeberle heftig atmend. »Du bist total irr.«
»Vielleicht.«
»Man sollte dich einsperren lassen. Entmündigen. Du überblickst nicht mehr, was du tust«, schrie Koeberle.
Das ist es, dachte er mit einer blitzartigen Freude. Mit einer Entmündigung kann man ihr auch das Tragen meines guten Namens untersagen. Ich werde das schon durchsetzen.
»Wenn ich dir das Gesicht zerkratze, weiß ich genau, was ich tue«, sagte Marianne leise.
Stadtrat Koeberle sah die Zeit für gekommen, sich zu verabschieden. Es kam ihm nicht auf den Versuch an, ob Marianne ihn wirklich angreifen würde. Es war an sich schon ein Jammer, daß ein Ehepaar, auch wenn es lange geschieden war, sich mit solchen Worten ansprach. Es war ein Verfall, aus dem sich Koeberle lösen wollte.
»Wir werden noch darüber sprechen«, sagte er und ging in die Diele. Marianne blieb in der Zimmertür stehen.
»Das ist alles, was du mir zu sagen hattest?«
»Ja.«
»Ich hatte dich angerufen, ich hatte Hilfe gesucht, ich hätte dich, wenn ich dich erreicht hätte, um diese Hilfe angebettelt. Jawohl, gebettelt hätte ich. Hilf mir, hilf mir … mein Kind ist weg … Und nun bist du hier, und was tust du?«
»Ich gehe«, sagte Koeberle und fand diese Antwort ausgesprochen witzig. Er war in Parteikreisen für seine Schlagfertigkeiten berühmt. Sie waren immer Pointen, wenn auch manchmal makaber. Aber in der Politik schadet das nicht.
»Was soll ich machen?« schrie Marianne.
»Warten.«
»Wie lange denn noch?«
»Bis man sie findet oder sie sich einfindet, was weiß ich? Irgendetwas und irgendwann wird man schon was von ihr entdecken.«
»Du ekelhaftes Schwein«, sagte Marianne. Ihre Stimme zerbrach. »Ich verspreche dir, daß du mit mir und an mir zugrunde gehst.«
Eduard Koeberle verließ schnell das Haus in den Neckarauen. Er rannte zu seinem Wagen zurück und fuhr mit kreischendem Motor weg. Er sah nicht mehr zurück auf das kleine weiße Haus inmitten des asternbunten Gartens. Mit rotem Gesicht und zuckenden Augen raste er nach Würzburg zurück.
Er hatte plötzlich Angst. Er sah sich in ein Schicksal verstrickt, das ihn mit sich riß, so sehr er sich auch dagegen wehren konnte. Und er erkannte mit Schrecken, als habe man eine Mauer, gegen die er immer gesehen hatte, eingerissen und den Blick in ein neues Land freigegeben, daß er alles falsch gemacht hatte. Von Anfang an. Er hatte um sich geschlagen, statt zu streicheln, er hatte die Überheblichkeit zur Schau getragen, statt sich in das Kostüm der Toleranz zu kleiden.
Der Helfer in Steuersachen Eduard Koeberle begann, um seiner Karriere willen und in zitternde Angst gepreßt, sich die Maske des edlen Mannes umzubinden.
Er fuhr einen Bogen, kehrte nach Heidelberg zurück und hielt vor dem Polizeipräsidium. Dort ließ er sich bei dem Chef der Vermißtenstelle melden, reichte seine Karte ein – Stadtrat Koeberle, Würzburg – und betrat das Zimmer mit der ernsten Würde eines Menschen, der eine große Aufgabe zu erfüllen hat.
»Mein Anliegen ist privater und diskreter Natur«, sagte er mit pastoraler Politikerstimme. »Es
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