Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
fragte Corto.
Lorenzo erwiderte seinen Blick lange. »Es war tatsächlich nicht das erste Mal, dass ich zwischen Häusern gekämpft habe.«
»Na, siehst du«, erklärte Corto. In seiner Stimme schwang ein winziger Unterton der Enttäuschung mit. Was hätte er gern gehört?
Aus Richtung des Dorfes kam plötzlich ein Rufen. »Corto? Corto!« Jemand näherte sich, jemand, der offenbar gerade eben noch beim Feuer gesessen hatte und jetzt in der Dunkelheit noch halb blind war. »Corto? Capitano ?«
Mitten aus der Finsternis sagte Enricos Stimme: »Hier sind wir.«
Der Mann stolperte heran.
»Corto, du musst kommen. Fabio schickt mich. Der Gefangene will mit dir reden.«
Corto sah Lorenzo und dann Magdalena an. Er stand auf und grunzte, als der Schmerz durch seine Glieder fuhr. »Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören. Ich bin geradezu neidisch auf Sie, Schwester. So wie Sie mich immer ansehen, habe ich das Gefühl, Sie können meine Gedanken lesen. Ich wäre froh, wenn ich das auch könnte, um festzustellen, ob unser Gefangener es ehrlich meint.«
Irrtum, dachte Magdalena. Du bist einer der Wenigen, die ich nicht lesen kann. Laut sagte sie: »Der Schein trügt.«
»Lorenzo?«
»Ich komme schon«, sagte Lorenzo mit einer fremd klingenden Stimme.
Enrico stand zwei Dutzend Schritte entfernt in der Finsternis. Er musste mit Corto gekommen sein und sich auf Posten geschlichen haben, während Lorenzo und Magdalena von Corto abgelenkt gewesen waren. Corto hatte nichts dem Zufall überlassen. Wenn Lorenzo irgendeine Dummheit mit dem Schwert versucht hätte, hätte Enrico ihn erschossen. Wenn Enrico noch immer so nervös gewesen wäre wie bei ihrer ersten Begegnung, hätte er auf Magdalena geschossen, als sie Cortos Handgelenk packte. Das Leben ist eine Abfolge verpasster Gelegenheiten; Magdalena war sich darüber im Klaren, dass sie nur mit viel Glück die Gelegenheit verpasst hatte, mit einem Bolzen auf den Boden genagelt zu werden. Sie zog die Schultern hoch und eilte an Enrico vorbei.
»Ich scheiße auf dein Testament«, sagte Enrico zu Lorenzo, als dieser an ihm vorbeistapfte.
»Dann werde ich dich wohl enterben müssen«, sagte Lorenzo. Seine Stimme klang immer noch fremd.
Kapitel 20.
N ach Florenz zurückzukehren war … eine Überraschung.
Wenn Antonio Bandini erwartet hatte, dass die Stadt sich in den vierzig Jahren seiner Abwesenheit grundlegend geändert hatte, dann blieb diese Erwartung unerfüllt. Lorenzo de’Medici mochte Schönheit erschaffen haben; Girolamo Savonarola mochte diese Schönheit vernichtet haben; Lorenzos Nachfolger mochten das ihre zum Stadtbild beigetragen haben – Schöpfung und Vernichtung hielten sich bei ihnen die Waage –, aber das allgemeine Bild der Stadt am Arno war dadurch nicht verändert worden. Es konnte daran liegen, dass die Stadt ein Gesamtkunstwerk darstellte, das mit kleinen Änderungen wie einem neuen Palazzo, einer umgebauten Kirchenfassade oder einem großen Loch, wo einmal irgendein Gebäude gestanden hatte, nicht wesentlich modifiziert werden konnte. Es mochte auch an der berühmten Langsamkeit der Florentiner Handwerker liegen, die selbst vierzig Jahre Gestaltungswillen der Herrschenden zum Erliegen brachte.
Andererseits stellte Bandini eine Veränderung fest, doch diese hatte mit ihm selbst zu tun. Die Gassen waren enger, als er sie in Erinnerung hatte, die Häuser niedriger, der Arno träger, sein Ufer flacher, die dort aufgereihten Getreidemühlen hässlicher. Lang gestreckte Wege wie der Prato gleich nach der Porta al Prato wirkten kürzer, die Säule an der Stelle, an der die Pferde beim pallio wendeten, war weniger bunt als früher, und die vielen piazze waren nur noch Plätze und keine atemberaubenden Weitungen mehr, in die man staunend stolperte, wenn man aus einer dunklen, kleinen Gasse kam. Offensichtlich stimmte auch nicht, was er bislang für eine unumstößliche Tatsache gehalten hatte: dass die Menschen in Florenz besser gekleidet, besser genährt und schöner anzusehen waren als anderswo auf der Welt. Das Gewimmel, durch das sich die Gruppe mit ihren Pferden langsam einen Weg in Richtung auf die Piazza della Signoria zu bahnte, unterschied sich in nichts vom Gewimmel in Mailand, Mantua, Padua, Turin … Es warf auch niemand einen zweiten Blick auf Antonio Bandini, den Verbannten, den Heimkehrer, den Neffen des verfluchten Mörders von Giuliano de’Medici, vor dessen Tat sich noch der türkische Herrscher von Konstantinopel so geekelt
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