Die Braut des Herzogs (German Edition)
sportlichen Belangen hoffnungslos unterlegen war, hatte hier ein Gebiet gefunden, in dem er mehr Wissen aufwies als der Herzog. Natürlich war er diesem auch in medizinischen Belangen voraus, aber auf diesem Gebiet wurden seine Kenntnisse ja allgemein viel zu wenig geschätzt.
Sie betraten die Kirche, Charles voran. Er hatte einen derKunstführer aufgeschlagen und steuerte sofort auf die ersten Grabmäler zu. Olivia blieb zurück, beeindruckt von der Größe des Bauwerks. Ihr Blick glitt von den dunklen Stützpfeilern zu den Chorfenstern, durch deren Buntglas vielfarbiges Licht in das Kircheninnere strömte. Dann weiter hinauf ins reine Licht, den Obergadens, bis hin zur Decke. Das Gewölbe erschien ihr wie ein riesiger Baldachin.
»Wie heiter das alles wirkt!« stellte sie überrascht fest.
Der Herzog war, neben ihr stehend, ihrem Blick gefolgt. »Es strahlt Gelassenheit aus«, meinte er, »und Zuversicht, daß es einen Einklang gibt zwischen Gott und den Menschen.«
Sie war überrascht vom Emst seiner Stimme und erfreut darüber, wie sehr sich ihre Gedanken beim Anblick dieses erhabenen Kirchenschiffes ähnelten.
Sie wäre noch gerne in dieser Harmonie geblieben – aber das konnte Charles nicht dulden. Geflissentlich eilte er herbei, um sie zum Weitergehen zu drängen. »Es hat keinen Sinn, hier stehenzubleiben und die Decke anzustarren«, sagte er streng. »Diese hat keinerlei wahren Kunstwert. Wenn wir die Abtei zur Gänze, samt allen Kapellen, sehen wollen, dann möchte ich doch ersuchen, daß ihr mir unmittelbar folgt, damit wir nicht unnötig Zeit verlieren.«
Mit diesen Worten schritt er voran in ein schier unentwirrbares Durcheinander von Gedenksteinen und Grabdenkmälern, die zu Ehren berühmter Verstorbener errichtet worden waren.
»Irgendwie passen diese Grabmäler mit ihren verschiedenen Formen und Stilen gar nicht zur Architektur des Bauwerks«, urteilte Olivia kritisch.
Der Herzog blickte um sich, um diesen Gedanken zu erwägen: »Sie haben recht Die Grabmäler erscheinen zu ernst und wuchtig im Vergleich zur Luftigkeit, die das Bauwerk selbst ausstrahlt.«
Doch dann war keine Zeit mehr für derartige Gedanken.
Charles durchquerte gemessenen Schrittes, doch zielsicher das Mittelschiff und die Vierung. Ab und zu blieb er stehen, um einzelne Inschriften zu erklären und auf Besonderheiten hinzuweisen.Etwas länger verweilten sie am Grabmal von Eleonore von Kastilien. Dann kamen die Gräber der Staatsmäinner und Politiker. In einer Nische war die Büste von Pitt dem Älteren zu sehen, der 1778 im Oberhaus eine leidenschaftliche Rede gegen die Abtrennung der amerikanischen Kolonien gehalten hatte, bevor er, vom Schlag getroffen, zusammengebrochen war. Ein Umstand, auf den Charles besonders hinwies.
Am Hauptaltar konnte Olivia keinen Gefallen finden. Da Charles schon zum Krönungsstuhl, auf dem seit Jahrhunderten alle Monarchen des Landes während der Krönungszeremonie saßen, vorausgeeilt war, sagte sie dies dem Herzog.
»Ganz richtig, er gefällt mir auch nicht. Der Altar in St. George ist bedeutend schöner«, antwortete dieser lächelnd.
St. George war, wie Olivia sehr wohl wußte, jene Kirche am Hanover Square, in der üblicherweise die Hochzeiten der adeligen Gesellschaft stattfanden. Ein rascher Blick in das Gesicht ihres Begleiters bestätigte, daß sie seine Bemerkung nicht falsch interpretiert hatte. Sie lächelte ihm zu und beeilte sich dann, den Anschluß an ihren Führer nicht zu verlieren.
Im südlichen Querschiff waren die großen Dichter des Landes bestattet. Auch Shakespeare hatte 1741 hier einen Ehrenplatz erhalten. Ein lebensgroßes Standbild, das von Scheemakers geschaffen wurde, wie Charles wußte.
Dann standen sie beeindruckt vor den Grabmälem der Königinnen, bewunderten die Kapelle Heinrichs VII. mit ihren bunten Fahnen und schwiegen ergriffen an den Gräbern der unschuldigen Kinder. Die Ausführungen von Lord Linham waren nicht so weitschweifig, wie Olivia befürchtet hatte, sondern gut geeignet, einen informativen Überblick zu verschaffen. Wenn er ab und zu ins Pathetische verfiel oder ihm die Krankheiten und Todesursachen manches Toten erwähnenswerter erschienen als deren Taten zu Lebzeiten, so bot dies seinen Begleitern nur eine hochwillkommene Gelegenheit, sich mit amüsierten Blikken ihre gleichgearteten Gefühle zu offenbaren.
So verging der Vormittag in unerwarteter Harmonie, und es waren drei Stunden vergangen, als sie, blinzelnd in der hellenSonne,
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