Die Braut des Normannen
nicht, wen sie zuerst beruhigen sollte. Das Baby heulte immer noch, und trotzdem lastete ein bedrohliches Schweigen über dem Raum. Plötzlich trat Thurston einen Schritt vor.
Nichola stand zwischen den beiden Gegnern, und beide starrten sie an, während sie hilflos von einem zum anderen blickte. Dann lief sie los – zu ihrem Mann.
Sie warf sich in seine Arme. »Bitte, bleib ruhig«, flüsterte sie. »Bitte ...«
Ihre Verzweiflung besänftigte seinen Zorn. Er drückte sie kurz an sich und schob sie hinter seinen Rücken, um sich voll und ganz auf seinen Feind konzentrieren zu können.
Nicholas Bruder kam noch einen Schritt näher.
Royce lehnte sich an den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust. Diese lässige Haltung irritierte Thurston.
»Ich hatte Euch eigentlich schon früher erwartet, Thurston«, sagte Royce milde. Thurston wurde unsicher, erholte sich aber rasch wieder.
»Hat Nichola Euch von den Geheimgängen erzählt?«
Royce schüttelte den Kopf. Er spürte, daß Nichola ihn an der Jacke zupfte, und wußte, daß sie schreckliche Angst hatte. Er wollte ihre Qualen nicht unnötig verlängern, deshalb sagte er schroff: »Entschließt Euch, Thurston.« Er ließ seinen Gegner nicht aus den Augen. »Ihr habt die Wahl. Entweder Ihr legt die Hand auf Euer Schwert und schwört mir die Treue oder ...«
»Oder was?« fiel Thurston ihm ins Wort. »Oder mich erwartet der Tod, Normanne? Aber ich werde Euch zuerst töten.«
»Nein!« rief Nichola. Sie fühlte, wie sich eine Hand auf ihre Schulter legte, und sah, daß Lawrence neben ihr stand.
»Baron?« sagte Lawrence.
Royce wandte den Blick nicht von Thurston ab, als er befahl: »Begleite meine Frau in unser Zimmer, Lawrence, und bleib bei ihr.«
Der Vasall nahm Nicholas Hand. »Nein!« schrie sie wieder. »Royce, das Baby ... bitte laß mich Ulric mitnehmen.«
»Du läßt meinen Sohn, wo er ist, Nichola«, brüllte Thurston. »Du hast dich für die andere Seite entschieden.«
Nichola schwankte und verließ mit hängenden Schultern den Raum.
Royce ging einen Schritt auf Thurston zu, als Lawrence die Tür schloß.
Thurston kam auch näher. »Ihr hättet Eure Soldaten rufen sollen.«
»Warum?«
Thurston grinste. »Damit sie Euch beschützen. Jetzt seid Ihr in meiner Gewalt, Bastard, und ich werde Euch töten.«
Royce schüttelte den Kopf. »O nein, Ihr werdet mich nicht töten. Ich könnte mir jetzt Genugtuung für Eure Beleidigung verschaffen, aber das würde meine Frau zu sehr aufregen.«
»Sie hat ihre eigene Familie verraten.«
Royce zog eine Augenbraue hoch. Mit jeder Minute, die verstrich, fiel es ihm schwerer, seinen Zorn unter Kontrolle zu halten. »Wann ist Nichola zur Verräterin geworden?« fragte er mit gefährlich leiser Stimme. »Bevor oder nachdem Ihr sie im Stich gelassen habt?«
»Im Stich gelassen? Ihr wißt nicht, wovon Ihr sprecht.«
»Ach nein? Ihr habt sie alleingelassen, und sie mußte sehen, wie sie zurechtkommt«, konterte Royce. »Dann habt Ihr ihr Euren Sohn anvertraut und sie damit noch mehr belastet. Sie hat alles getan, um Ulric vor Schaden zu bewahren, aber Euch ist es vollkommen gleichgültig, welche Opfer sie gebracht hat, nicht wahr? Ja, Ihr habt sie schändlich im Stich gelassen.«
»Ich wurde im Norden gebraucht«, murrte Thurston.
»Ah, ja, im Norden«, erwiderte Royce gedehnt. »Habt Ihr dort nicht Euren Bruder verletzt liegengelassen, ohne Euch um sein Überleben zu kümmern?«
Thurstons Gesicht wurde scharlachrot. Der Haß auf diesen Normannen drohte ihn zu verbrennen, und ihm fiel nicht einmal etwas zu seiner Verteidigung ein. »Man hat mir gesagt, daß Justin gefallen sei.«
Seine unsichere Stimme verriet Royce, daß er nicht die volle Wahrheit sagte. »Nein«, behauptete er. »Man hat Euch erzählt, daß er verwundet ist, und als Ihr hörtet, welche Verletzung er erlitten hat, habt Ihr ihn zum Sterben zurückgelassen. So ist es doch in Wirklichkeit gewesen, oder nicht? Justin war nutzlos für Euch, da er nur noch eine Hand hatte.«
Thurston war erschüttert, weil Royce so viel über ihn wußte. Dieser Normanne versuchte, ihn für Justins Misere verantwortlich zu machen. »Ich habe weiter gekämpft, um meinen Bruder zu rächen.«
Royce widerte dieses Gespräch an. Er hatte nur ein paar Stücke des Puzzles zusammengesetzt und lediglich vermutet, daß Thurston seinen Bruder mit der schweren Verwundung auf dem Schlachtfeld liegengelassen hatte. Jetzt machten Thurstons fadenscheinige
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