Die Braut des Normannen
er drehte sich um, und als Nichola sein wutverzerrtes Gesicht sah, beschloß sie, einzugreifen. Sie wollte nicht, daß Morgan ums Leben kam – sein Tod wäre nicht einmal den Umstand wert, daß Royce dem König eine Erklärung dafür abgeben müßte. Außerdem wollte sie nicht Morgans Leiche auf ihrem Land bestatten.
Royce war schon auf dem Weg zu Morgan. »Es ist gut, daß wir jetzt die Halle ordentlich lüften können. Danke, Royce«, sagte Nichola schnell.
Er nickte, ging an ihr vorbei und blieb abrupt stehen. »Was hast du gerade gesagt?«
»Ich danke dir für das neue Fenster.«
Lawrence prustete laut los. Nichola lächelte. Royce schloß die Augen und seufzte. »Ich habe nicht vor, den Bastard umzubringen«, erklärte er.
»Nein, natürlich nicht«, meinte sie. »Die Schachfigur ist weg, und daran würde auch Morgans Tod nichts ändern.«
»Ich möchte ihm nur ein Bein brechen, Nichola – oder vielleicht alle beide.«
Diese Ankündigung sprach er ganz gelassen aus, aber er grinste dabei.
»Nichts wäre damit gewonnen, wenn du ihm die Beine brichst.«
»Es würde mir Genugtuung bereiten«, erwiderte er.
Nichola schüttelte den Kopf.
Royce blickte sie finster an, aber dann gab er nach. Nichola war entschlossen, die Angelegenheit auf ihre Weise zu regeln, und er wollte sie nicht enttäuschen. Er warf einen Blick auf den Kamin, dann sah er Nichola wieder an. »Mein Herz, welche Figur hat er kaputtgemacht?«
»Die schwarze Dame.«
Er ließ die Schultern sinken. Das war die Figur, in die ihr Vater während eines Lachanfalls über seine eigene Anekdote eine kleine Kerbe geschnitzt hatte.
Royce machte sich selbst Vorwürfe für das Geschehene. Er hätte Morgan genauer im Auge behalten müssen – er hätte diese Zerstörung verhindern können, wenn er nur mehr aufgepaßt hätte.
Er zog Nichola in seine Arme. »Es tut mir leid«, flüsterte er. »Es war meine Schuld. Ich hätte ...«
Sie ließ ihn den Satz nicht beenden. »Es ist alles so schnell passiert, daß du es nicht hättest verhindern können.« Sie strich über seine Brust und küßte ihn. »Mach dir keine Sorgen deswegen, es ist nun einmal geschehen.«
Er konnte gar nicht glauben, daß sie versuchte, ihn zu besänftigen. »Du nimmst den Verlust erstaunlich gleichmütig hin«, meinte er.
Nichola behielt ihr Lächeln bei.
Fünf Minuten später stand sie auf der Türschwelle und sah Royce und Lawrence, die durch den Innenhof gingen, nach.
»Steht Nichola noch immer in der Tür?« fragte Royce seinen Gefolgsmann nach ein paar Schritten.
Lawrence drehte sich um. »Nein, Baron. Sie ist weg.«
Royce schlug sofort eine andere Richtung ein. »Ich bin von Natur aus ein argwöhnischer Mensch«, erklärte er. »Meine Frau hat Morgans Niedertracht ziemlich gelassen ertragen, meinst du nicht?«
»Da stimme ich Euch zu.«
Royce lächelte. »Ein bißchen zu gelassen, würde ich sagen.« Er bog um eine Ecke und ging zu der Leiter, die zum Wehrgang führte. Dann lehnte er sich an die Sprossen und wartete.
Seine Geduld wurde nicht lange strapaziert. Nichola stürmte mit wehenden Röcken um die Ecke, blieb aber abrupt stehen, als sie ihren Mann entdeckte.
Sie verbarg ihre Hände auf dem Rücken und lächelte Royce honigsüß an. Er erwiderte ihr Lächeln und wandte den Blick nicht von seiner Frau, als er Lawrence den Befehl gab, zu seinen Pflichten zurückzukehren. Sobald Lawrence ihnen den Rücken zugekehrt hatte, winkte Royce Nichola mit einem gekrümmten Finger zu sich.
Royce wartete, bis sie direkt vor ihm stand, dann streckte er die Hand aus.
Ihr Lächeln erstarrte, und sie wich zurück.
»Recht muß Recht bleiben, Nichola«, erklärte er. »Wenn ich ihm keinen Denkzettel verpassen darf, dann darfst du es auch nicht. Gib her.«
Sie sah ihn entgeistert an. »Wie konntest du das ahnen?«
Er tippte auf die kleine Narbe an seiner Stirn. »Ich habe nur meinen Verstand angestrengt.«
Nichola legte die Lederschlinge in seine Hand und ließ zwei Steine auf den Boden fallen.
»Hast du geglaubt, daß du mit dem ersten Stein dein Ziel verfehlst?« wollte er wissen.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich schieße nie daneben. Der andere Stein war für Henry bestimmt.«
Royce lachte, und das brachte Nichola vollkommen durcheinander. Sie trat noch einen Schritt zurück.
»Ich habe dich schon viel zu lange von deinen Aufgaben ferngehalten«, sagte sie. Die Enttäuschung darüber, daß sie Morgan und Henry nicht den Abschied bereiten konnte, den sie
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