Die Braut des Silberfinders - historischer Roman
so
verselbstständigte es sich im Laufe der Jahre, dass Gretchen den Mädchen nicht
nur mit klugen Ratschlägen und Trost zur Seite stand, sondern auch die Aufgaben
einer Hebamme übernahm. Die jungen Dirnen dankten es Gretchen und entlohnten
sie reichlich, und da wegen ihres fortgeschrittenen Alters die bisherige
Einnahmequelle immer weniger einbrachte, war diese Vereinbarung auch für
Gretchen ein Segen.
Robert hatte ihr über seine Beweggründe
reinen Wein eingeschenkt, obwohl er befürchtete, sie würde ihn daraufhin zum
Teufel jagen. Doch nichts dergleichen geschah, sie zeigte sogar Verständnis für
seine dreisten Flunkereien. Was für eine Frau!
Noch immer beobachtete er sie. Er sah jetzt
deutlicher als im schummrigen Licht der Scheune ihre grauen Haarsträhnen, die
ausladenden Hüften, die für seinen Geschmack deutlich zu breit waren, und doch
empfand er für sie tiefste Zuneigung, denn so, wie sie mit den Kindern spielte,
wie sie ihnen ihre ganze Liebe und Fürsorge schenkte, wusste er, dass ihre
Seele rein war wie die eines Engels, mochte sie auch die verruchteste Hure der
Stadt sein.
Ein weiterer Gedanke beschäftigte Robert.
Als Findelkind – er wurde im Säuglingsalter vor der Tür eines Klosters
ausgesetzt – hatte er seine Eltern nie kennengelernt. Viele Nächte raubte ihm
die Vorstellung den Schlaf, seine Mutter könnte eine Dirne gewesen sein.
Und wenn schon, dachte er sich nunmehr,
lieber war er der Sohn einer Hure als eines verzogenen Bürgertöchterchens,
dessen Eltern die Schande nicht ertrugen, dass ihr Kind vom Stallburschen
bestiegen wurde.
»Rasch, wir müssen los, die Sonne steht
schon am Himmel!«, drängte Osman plötzlich ungehalten und schüttelte Robert,
gerade so, als wolle er ihn ein weiteres Mal aufwecken.
»Ja, denkst du, ich bin blind? Soll sie
doch stehen, wo sie will, was schert es mich!«, fuhr Robert seinen Freund an,
verärgert darüber, derart unsanft aus seinen Gedanken gerissen zu werden.
»Aber wir sollten schon lange in der Grube
sein!«
»Ich glaube kaum, heute den Schlägel
halten, geschweige denn damit einen Stein aus der Wand schlagen zu können.«
»Du verdammter Suffkopf, immer gibt’s
Ärger, wenn du trinkst«, zeterte Osman, und wieder einmal nicht zu Unrecht.
»Steh gefälligst auf, wir müssen unbedingt zum Stollen! Die letzte Nacht ist
uns teuer zu stehen gekommen.«
»Wieso uns, ich bin kein Geld losgeworden!
Sie wollte nichts von mir.«
Der Stolz des Alexandriners wurde heute auf
eine harte Probe gestellt, hatten seine Dirnen ihn doch umso heftiger
geschröpft. Ungläubig schüttelte er seinen Kopf. Während Osman den Stall
verließ, stieg Robert noch mühselig in seine Kleider. Alles um ihn herum
schwankte bedenklich. Kein Wunder, meinte doch Gretchen, er habe genug
getrunken für drei ausgewachsene Männer.
Und so torkelte er seinem Freund hinterher,
der zügigen Schrittes nach Süden stampfte, zum Rammelsberg hin. Für Gretchen
hatte er noch ein freundliches Nicken, das sie stumm und teilnahmslos
erwiderte. Enttäuscht wandte er ihr den Rücken zu, sodass ihm der traurige
Blick verborgen blieb, mit dem sie ihm hinterherschaute.
*
»Wo kommt ihr denn jetzt erst her?« August, der Vorarbeiter,
schien etwas gerochen zu haben. Er hielt seine Nase dicht an Robert heran, um
dann angewidert sein Gesicht zu verziehen. »Du stinkst, als ob du im Rum
gebadet hättest!«, kommentierte er kopfschüttelnd das nur allzu Offenkundige.
»Zum Teufel, wenn du nicht so ein guter Arbeiter wärst, würde ich dich für
immer heimschicken! Und was ist mit dir, Muselman. Hast auch du die Nacht
durchgesoffen?«
»Nein, Herr«, antwortete Osman zutiefst
geknickt, »doch einer musste schließlich auf ihn Obacht geben.«
»Freilich, die reinste Nächstenliebe war’s,
die dich vom Arbeiten abhielt.« Wieder schüttelte August sein kahles Haupt und
schaute zweifelnd zu Robert hinüber, der nach wie vor deutlich schwankte.
Offenbar wusste der alte Mann nicht so recht, was er mit ihm anfangen sollte.
»Was für ein jämmerliches Bild du doch
abgibst. Heute geb ich dir keinen Schlägel, nachher verletzt du dich noch«,
schimpfte er mit Robert. Plötzlich jedoch hellte sich seine Miene auf. »Der
Neffe vom Grubeneigner kommt heute zur Inspektion, will sich den gesamten
Stollen zeigen lassen. Ihr seid beide nicht auf den Kopf gefallen und kennt
euch hier gut aus. Begleitet ihr den feinen Herrn und zeigt ihm alles, dann
kann ich derweil meiner Arbeit
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