Die Braut des Spuks
seine Antworten tatsächlich von einer dermaßen entscheidenden Bedeutung waren.
»Sie ist von Frauen verehrt worden, aber auch von Männern, die ihr Frauen als Opfer brachten. Das aber liegt sehr lange zurück. Man nannte sie Anat, Aschera — und Astarte…«
»Was?« rief ich dazwischen, »die heidnische Himmelskönigin, die von den Kanaanitern verehrt wurde?«
»Ja, John, es war die Zeit noch vor den großen Religionen. Astarte, die auch zu Baal gehört hatte, hatte sich bei den Menschen hier den nötigen Respekt verschafft. Man hat sie als die Braut des Götzen Baal bezeichnet.«
»So erzählt es die Geschichte.«
»Aber nicht alles. Ob in eurer Bibel etwas von der Gemahlin des Baals geschrieben steht oder nicht, das soll dir egal sein. Ich habe dir schon in London einiges erzählt, aber das Zweitwichtigste folgt jetzt. Dieser Berg Anat kann auch Astarte heißen oder Aschera, das spielt keine Rolle. Sie haben ihn Anat genannt, vielleicht wollten die Menschen nicht, daß er zu sehr an Astarte erinnerte. Eines laß dir gesagt sein. Wir beide befinden uns im Bauch der Himmelskönigin. Dieser Berg ist sie, der Berg ist Astarte. Alles um dich herum ist ein Teil der Göttin. Sie ist nicht vernichtet worden, sie hat nur ihre Gestalt gewechselt. Wenn du das Gestein berührst, dann berührst du gleichzeitig auch sie. Wenn du Staub einatmest, wie es die Männer getan haben, dann atmest du gleichzeitig etwas von ihrein. Sie sind gestorben, du lebst noch. Ob ich dich weiterhin schützen kann, weiß ich nicht, aber sei gewiß, daß Astarte in deiner unmittelbaren Nähe steht und daß sie in der folgenden Nacht erwachen wird. Das Erwachen der Himmelgöllin. Viele haben davon gesprochen, viele haben den Weg zu ihr gesucht, doch nur wenige fanden ihn. Aber die ihn fanden, die bekamen die Macht, sie erwecken zu lassen.«
»Wenn ich dich richtig verstanden habe, wird sie in der Nacht erscheinen«, sagte ich.
»Und diesen Berg sprengen. Viele werden von einem Vulkanausbruch sprechen, aber das ist es nicht. Sie erscheint - sie, Astarte, Aschera oder Anat.«
»Gut, das habe ich alles verstanden. Trotzdem ist mir einiges unklar geblieben. Du hast von einer zweitwichtigen Sache gesprochen. Es muß demnach noch eine wichtigere für mich geben.«
»Nein, nicht nur für dich, auch für mich.«
»Stimmt. Und welche?«
Es dauerte, bis er eine Antwort gab. In der Zwischenzeit bewegten sich seine Augen. Sie tanzten wie rote Funkenkreise. Ich kannte den Grund nicht und überlegte, ob ein Wesen wie der Spuk auch Gefühle besaß. Es fiel ihm schwer, mit der Wahrheit herauszurücken. »Traust du dich nicht?«
»Doch, Geisterjäger. Ich habe nur über den richtigen Weg nachgedacht, den ich einschlagen muß.«
»Ich habe Zeit…«
»Baal ist einer der furchtbarsten Götzen des Altertums gewesen. Man spricht heute noch von ihm, sogar immer öfter. Ich komme deshalb auf ihn, weil Astarte einmal zu ihm gehört hat. Sie wurde ja als seine Gemahlin anerkannt. Das jedoch war sie nicht immer. In deiner Gesellschaft würde man sagen, daß sie ein Vorleben besitzt. Und dieses Vorleben bin ich gewesen. Hör genau zu, John Sinclair. Ich kenne Astarte schon länger als Baal, denn sie war meine Braut, die Braut des Spuks…«
***
Die letzten Minuten hätte Brett Hawkins liebend gern aus seinem Leben gestrichen, denn sie waren furchtbar gewesen. Nicht daß er gefoltert worden wäre, nein, sie hatten ihn körperlich nicht angerührt, es war der seelische Druck, der ihn fertigmachte, ebenfalls das Wissen um sein nahes Schicksal.
Er sollte sterben, und er sollte gleichzeitig zu einem Opfer der Göttin Astarte werden!
Das wollte ihm nicht in den Kopf. Schon öfter hatte er das Gefühl, als wäre ihm der Boden unter den Füßen weggezogen worden, so daß er in der Leere schwebte. Schwindel überkam ihn, die Mauern rechts und links schwankten immer wieder, und die Gesichter seiner Bewacher verzerrten sich zu Fratzen.
Ein Ende in Jordanien, ein Ende in der verdammten Wüste, irgendwo verbluten, vergessen und verloren.
Seine körperlichen Schmerzen traten zurück, denn die seelischen überwogen leider. Er senkte den Kopf. Seine Beine waren schwach geworden, sie schafften es kaum, das Gewicht des Körpers zu halten. Zwar war Brett Hawkins ein kräftiger Mann, aber auch für ihn gab es Grenzen, und er gehörte nicht zu den ausgebildeten Kämpfern. Sein Weg ins Verderben war vorgezeichnet.
Zudem hatten sie den Toten entdeckt.
»Von vier Kugeln
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