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Die Braut des Vagabunden

Die Braut des Vagabunden

Titel: Die Braut des Vagabunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: CLAIRE THORNTON
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klar, dass nur eines schlimmere Auswirkungen auf seinen Seelenfrieden haben würde als eine Annahme seines Antrags – nämlich wenn sie ablehnte.

10. KAPITEL
    Temperance presste die Fingerspitzen gegen das Fenster, die Aussicht bemerkte sie hingegen nicht. Sie konnte an nichts anderes denken als daran, dass sie jetzt die Duchess of Kilverdale war.
    Jack hatte keine große Ankündigung gemacht. Er hatte einfach begonnen, sie als seine Gemahlin zu bezeichnen oder mit ihrem neuen Titel zu benennen, von dem Augenblick an, da sie aus dem Park zurückgekehrt waren. Sofort hatte es eine kaum wahrnehmbare, aber doch eindeutige Veränderung im Verhalten der Dienstboten ihr gegenüber gegeben.
    Genau wie am Tag zuvor hatten sie mit der Dowager Duchess und Dr. Nichols zusammen gegessen, doch trotz ihres neuen Ranges hatte sie sich in deren Gegenwart nicht wohler gefühlt. Am Vortag hatte sie sich nur darum gesorgt, ihre Würde zu wahren, bis Jack sie denunzierte, jetzt aber musste sie die Manieren einer Duchess an den Tag legen. Besonders unbehaglich hatte sie sich gefühlt, als Jack Dr. Nichols gesagt hatte, er sollte die Zeremonie leiten, mit der ihr Gelübde in der Hauskapelle erneuert würde.
    Sie lehnte die Stirn an das kühle Glas und fragte sich, ob sie wohl den Verstand verloren hatte. Sie war eine Ladenbesitzerin aus Cheapside, was wusste sie schon darüber, wie man ein so großes Haus führte oder an einem Ball bei Hofe teilnahm? Der bloße Gedanke, sich in solcher Gesellschaft zu bewegen, lähmte sie beinahe. Was, wenn sie in dieser neuen Rolle versagte?
    Jacks Warnung, niemals jemanden wissen zu lassen, dass sie sich fälschlicherweise als seine Gemahlin ausgegeben hatte, hatte sie ernst genommen. Jetzt musste sie innerhalb von ein paar Wochen lernen, was die Tochter eines Edelmanns von Geburt an lernte. Auf keinen Fall wollte sie Jack im Stich lassen, der sie mit solch erstaunlicher, schmeichelhafter und beunruhigender Großzügigkeit bedacht hatte.
    Obwohl sie anfänglich bei Jacks Antrag noch gezögert hatte, hatte alles in ihr sie dazu gedrängt, seinen Antrag anzunehmen. Er sah gut aus, besaß Ausstrahlung und Ehrgefühl und brachte ihr Blut in Wallung, wie es noch kein Mann zuvor getan hatte. In all den Jahren, da sie den Laden in Cheapside betrieben hatte, hatte sie niemals damit gerechnet, die Aufmerksamkeit eines solchen Mannes zu erregen. Sie war stolz auf das, was sie erreicht hatte, aber sie hatte immer geglaubt, zu groß und zu geradeheraus zu sein, um das Interesse eines Mannes zu erregen. Jack hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass er sie begehrte – und sie war ebenso erstaunt wie entzückt von seiner Annahme, jedem Mann, der sie sah, würde es auch so gehen.
    Doch jetzt nagten Zweifel an ihr, wenn sie an die Herausforderungen dachte, die ihr bevorstanden. Beunruhigt trommelte sie gegen den Fensterrahmen. Sie musste erneut mit Jack sprechen – damit sie sicher sein konnte, dass er wirklich genau das wollte, ehe es zu spät war, um seine Meinung noch zu ändern.
    Zu Hinchcliff hatte sie ihn sagen hören, er ginge jetzt in den Salon, daher begab sie sich zuerst dorthin. Der direkte Weg führte durch die große Halle. Jeden Mittag aßen die Diener und die Landarbeiter dort, doch jetzt war die Halle leer. Eilig durchquerte sie sie, ging auf die Salontür zu, öffnete sie – und blieb wie angewurzelt stehen.
    Jack saß auf einem reich mit Schnitzereien verzierten Stuhl und sprach zu einem untersetzten Mann, der vor ihm stand.
    Erschrocken stammelte Temperance eine Entschuldigung und wollte sich zurückziehen. Sie hatte geglaubt, Jack wäre allein. Als er hörte, wie die Tür geöffnet wurde, hatte er sich aber herumgedreht, und nun lächelte er sie an.
    „Kommt herein.“
    Sie erstarrte. In Anwesenheit des Fremden wollte sie nicht mit ihm sprechen. Doch er stand auf und streckte ihr seine Hand entgegen, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als zu ihm zu gehen. Ballen von schimmernder Seide und Samt lagen überall im Salon. Zu spät erinnerte sie sich daran, dass Jack beim Essen erwähnt hatte, dass er sich am Nachmittag mit einem Seidenhändler treffen wollte.
    „Ich hoffe, du bist mit meiner Wahl einverstanden“, sagte er und führte sie zu dem Stuhl, auf dem er gerade eben noch gesessen hatte.
    „Für mich?“ Ihre Stimme klang belegt. Sie betrachtete die vielen Stoffe, die fast jede freie Fläche bedeckten. Mit Seide hatte sie nie gehandelt, aber sie wusste, dass das kostbare Material,

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