Die Braut des Vagabunden
um sie die Treppen hinunterzugeleiten. „Gehen wir zurück ins Warme.“
„Ich war so in Sorge über das, was der Klatsch über uns sagen könnte, dass ich mir Tobys wegen keine Gedanken machte.“
„Du konntest nicht wissen …“, begann Temperance.
„Natürlich konnte ich das wissen. Dich habe ich auf den Hügel geführt, um mit dir zu reden, aber Toby …“ Jack rieb sich über den kurz geschorenen Schädel. Seine Perücke hing vergessen und unordentlich aus seiner Tasche heraus.
Vor anderthalb Stunden hatten sie Toby zu Eleanor und Hinchcliff gebracht. Die Duchess war nur erleichtert, während der wesentlich redseligere Majordomus Toby abwechselnd gescholten und getröstet hatte. Wer ihnen zusah, konnte nicht den leisesten Zweifel daran hegen, dass Toby bei den wichtigsten Mitgliedern des Hauses einen zentralen Platz im Herzen einnahm. Dr. Nichols hatte stumm beiseitegestanden. Offensichtlich hatte er erwartet, dass Jack ihn für seine Versäumnisse bestrafte, sein Herr hatte ihn indes gar nicht beachtet.
Jack hatte Temperance gebeten, den Gästen zu versichern, dass die Krise vorüber war, während er blieb, um Toby ins Bett zu bringen. Issac wies er an, von nun an in Tobys Kammer zu schlafen. Damit belohnte er Temperances früheren Lehrjungen und gab ihm gleichzeitig mehr Verantwortung für Tobys Wohlergehen. Isaac hatte die Rolle mit so viel ruhigem Selbstbewusstsein übernommen, dass Temperance sehr stolz auf ihn war.
Während sie zusah, wie Jack vor ihr auf und ab ging, wünschte sie, sie würde ebenso viel Selbstvertrauen wegen ihrer eigenen Position besitzen.
„Ich hätte ihm sagen sollen, dass ein neues Kind kommt“, sagte er. „Er hätte es von mir erfahren sollen, damit niemand es gegen ihn verwenden kann.“
Temperance lehnte sich in ihren Stuhl zurück. Sie verstand Jacks Verzweiflung in Bezug auf seinen Sohn, aber alles, was er sagte, trug dazu bei, dass sie sich schlechter fühlte. Ihr Schuldgefühl wegen der Art und Weise, mit der sie sich in sein Leben gedrängt hatte, hatte sie nie ganz verlassen – und nun kehrte es mit aller Macht zurück. Obwohl sie nie etwas getan hätte, um Tobys Vertrauen in die Liebe seines Vaters zu erschüttern, hatte sie das Gefühl, dass sie die Schuld trug an dem, was geschehen war.
„Ich versuchte dafür zu sorgen, dass es niemand erfuhr“, sagte sie. „Das Hausmädchen muss im Nähkasten das Brot gefunden haben. Oder …“
„Tempest.“ Jack kam herüber und hockte sich vor ihr hin. Er legte die Hände auf ihre Knie, und sie war froh über diese tröstende Geste. „Es ist nicht dein Fehler. Du warst immer sehr vorsichtig. Ich hätte nicht versuchen sollen, es bis nach der Zeremonie geheim zu halten. Ich vermute, Isaac hat dir erzählt, warum Toby sich versteckte?“ Er stand auf, ehe sie antworten konnte, daher musste sie nicht gestehen, dass sie ihm gefolgt war.
„Ich bin sicher, es waren nicht deine Dienstboten“, sagte Temperance. „Sie würden wissen, wie sehr du Toby liebst. Sie würden niemals glauben, dass du ihn verletzen würdest. Und sie waren so besorgt …“
„Toby sagte, es wären die Diener der Gäste. Die meisten hier im Haus kennen ihn, seit er in der Wiege lag. Aber warum sollten Fremde ihm gegenüber wohlgesinnt sein? Ich muss ihm beibringen, stark genug zu sein, um sich bösem Klatsch widersetzen zu können. Das ist das Beste.“
Ruckartig wandte Jack sich ihr zu. „Es tut mir leid, dass für dich dieser Abend so unterbrochen wurde. Ich wollte mit dir reden – aber du siehst müde aus. Geh ins Bett, du musst dich ausruhen.“
„Worüber willst du reden?“ Temperance fühlte einen Anflug von Furcht.
„Es kann warten. Ich gehe hinaus.“
„Wohin?“ Sie war beunruhigt, und ihre Stimme klang scharf.
„Spazieren. Ich muss meinen Kopf klären. Im Augenblick bin ich keine angenehme Gesellschaft.“
„Nach draußen? Es ist mitten in der Nacht.“
„Ich bin keine sieben Jahre alt“, meinte Jack ungeduldig, „ich fürchte mich weder vor Spinnen noch vor der Dunkelheit. Mir wird nichts passieren.“
Temperance biss sich auf die Lippe. Sie würde nicht weinen, weil Jack lieber in der Dunkelheit umherlief, um einen klaren Kopf zu bekommen, anstatt bei ihr zu bleiben.
„Würdest du erst mein Korsett öffnen?“, fragte sie, als sie sicher sein konnte, dass ihre Stimme sie nicht verraten würde. „Ehe du gehst. Ich möchte heute nicht die Zofe rufen.“
„Natürlich.“ Seine Züge wurden weicher, als er
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