Die Braut des Vagabunden
ihr die Hand reichte und ihr auf die Füße half. „Komm.“
Sie gingen hinüber ins Schlafgemach, und sie wandte ihm den Rücken zu, damit er die Haken erreichen konnte. Behutsam löste er die Schnüre. Sie trug das Korsett nur lose gebunden, um dem Baby nicht zu schaden, trotzdem konnte sie sich nicht alleine aufschnüren. Sie hasste es, dass ein Teil ihres neuen Ranges darin bestand, von anderen in so einfachen Dingen wie dem Auskleiden abhängig zu sein.
„Da.“ Er berührte sie am Arm, um ihr zu bedeuten, dass er fertig war, und sie drehte sich zu ihm um. „Brauchst du sonst noch etwas?“
Sie schüttelte den Kopf. Was sie brauchte, das war, dass er bei ihr blieb. Vermutlich, dachte sie, wird er das tun, wenn ich ihn darum bitte. Nur wollte sie, dass er blieb, weil er es wollte – und nicht aus Pflichtgefühl ihr gegenüber.
„Du siehst müde aus. Geh schlafen. Warte nicht auf mich“, sagte Jack. Er umfasste ihre Wange mit einer Hand und küsste sie leicht auf die Lippen. „Und mach dir keine Sorgen. Ich werde nicht lange fort sein.“ Er machte kehrt und verließ die Kammer.
Temperance sah ihm nach. Erinnerte er sich nicht, dass diese Nacht für sie beide eine besondere Bedeutung besaß, die nichts mit Tobys Abenteuer zu tun hatte? Die Tatsache, dass Jack vergessen hatte, dass der kommende Tag ihr Hochzeitstag war, zeigte ihr, wie unwichtig sie im Grunde für ihn war.
Jacks Schritte knirschten auf dem Kies. Zorn und die Nachwirkungen der Furcht trieben ihn an, immer größere Schritte zu machen, bis er beinahe rannte und er sich zwang, langsamer zu gehen. Toby war in Sicherheit und würde es auch bleiben. Morgen würde er mit Temperance besprechen, wie sie es am besten erreichen konnte, dass Toby nicht auf das neue Baby eifersüchtig wurde. Bestimmt hatte sie vernünftige Vorschläge. Er hätte Toby schon früher von Temperances Baby erzählen sollen, aber er hatte geglaubt, mehr Zeit zu haben – und er konnte es nicht seinem Sohn sagen, ehe er es seiner Mutter erzählte.
Abrupt blieb er stehen. Er hatte es Eleanor noch immer nicht gesagt. Das würde er gleich morgen als Erstes tun müssen …
Morgen.
An diesem Tag würde er Temperance gegenüber das Ehegelübde ablegen, in Anwesenheit seiner vornehmen Gäste und jeder bedeutenden Familie in der Umgebung.
Er rieb sich über den Kopf und fragte sich, wie um alles in der Welt er es fertiggebracht hatte, das zu vergessen. Selbst in seiner Sorge um Toby war ihm aufgefallen, dass Temperance außergewöhnlich angespannt und müde ausgesehen hatte. Nach seinem Gespräch mit Toby hatte er vor allem an ihre Schwangerschaft gedacht und geglaubt, das wäre der Grund für ihre Erschöpfung. Er hatte ihr geraten, ins Bett zu gehen, weil er wollte, dass sie sich ausruhte. Stöhnend wurde ihm klar, dass sie sich vermutlich wegen der Zeremonie morgen sorgte und er kein einziges Wort gesagt hatte, um sie zu beruhigen. Er machte kehrt und eilte zurück ins Haus.
Ganz kurz zögerte er, als er in seine Gemächer kam und feststellte, dass sein Bett leer war. Er hatte erwartet, dass Temperance dort sein würde, so wie in den Nächten zuvor. Einen Augenblick lang war er verblüfft. War sie in ihr eigenes Bett gegangen, weil sie mit ihm böse war, weil er die Hochzeit vergessen hatte? Oder folgte sie einem albernen weiblichen Aberglauben, nachdem man in der Nacht vor der Hochzeit getrennt schlafen sollte?
Stirnrunzelnd betrachtete er das leere Bett und beschloss dann, dass er verdammt sein wollte, wenn er die Nacht nur wegen ihrer Bedenken allein verbringen würde. Behutsam öffnete er die Verbindungstür. Abgesehen von dem schwachen Sternenlicht, das durch die offenen Vorhänge einfiel, war es dunkel. Temperance lag friedlich in ihrem Bett. Er blickte hinab auf ihre schlafende Gestalt und empfand zum ersten Mal, seit Hinchcliff die Treppen hinuntergekommen war, eine tiefe Ruhe. Er zog sich aus, ließ die Kleider auf den Boden fallen und schlüpfte unter die Decke. Temperance bewegte sich.
„Psst, schlaf weiter“, flüsterte er, legte einen Arm um ihre Taille und schloss die Augen.
16. KAPITEL
Dr. Nichols vollzog die Trauungszeremonie in der Familienkapelle. Zu Anfang erklärte er, dass der Duke und die Duchess of Kilverdale bereits vor einigen Monaten in einer privaten Zeremonie in London geheiratet hätten. Heute würde das Paar den Wünschen des Dukes folgen und das Gelübde im Haus der Vorfahren wiederholen. Seine Rede verursachte Temperance Unbehagen,
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