Die Braut von Rosecliff
Würde ihr jemals wieder eine solche Nacht vergönnt sein?
Ihre Unterlippe zitterte, aber es gelang ihr, nicht in Tränen auszubrechen. Nein, eine solche Nacht würde ihr nie wieder b e schieden sein. Sie sollte dankbar sein, dass sie wenigstens einmal so glücklich gewesen war. Viele Frauen, die mit ungeliebten Männern verheiratet waren, erfuhren nie, wie herrlich eine Ve r einigung sein konnte.
Liebte sie Rand? Ja, gestand sie sich in dieser Abschied s stunde ein. Aber liebte auch er sie? Sie wusste es nicht, und es spielte auch keine Rolle, denn selbst gegenseitige Liebe könnte ihre Trennung nicht verhindern.
Rand kam auf sie zu, wie ein Krieger gekleidet, mit dem Schwert gegürtet. Seine Miene war düster, aber er reichte ihr einen Kamm.
»Danke«, murmelte Josselyn.
Ihre Blicke trafen sich, und sie konnten sie nicht wieder vo n einander lösen.
»Heirate Owain nicht!«
Josselyn bekam rasendes Herzklopfen. »Was meinst du damit – dass ich hier bleiben soll?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das geht nicht. Ich muss me i nen Bruder retten. Aber…« Rand holte tief Luft. »Owain wird dich schlecht behandeln. Das liegt in seiner Natur.«
Sie riss sich von seinen Augen los. »Ich kenne seine Natur zur Genüge.«
»Dann weigere dich, ihn zu heiraten.«
Ärger stieg plötzlich in ihr auf. »Warum? Warum, Rand? Damit seine Familie und die meine sich nicht gegen dich verbü n den?«
»Nein!« Er warf ihr den Kamm in den Schoß. »Verdammt, ich denke an dein Wohl, nicht an meines! Dein Volk hat gegen das mächtige England keine Chance. König Heinrich beansprucht dieses Land für sich, und es wird für tausend Jahre und mehr in englischem Besitz bleiben. Du kannst daran nichts ändern, e gal, wen du heiratest.« Seine Stimme wurde sanfter. »Ich will nicht, dass du verletzt wirst, Josselyn, das ist alles.«
Wie endgültig sich das anhörte… Das ist alles. Sie hatte sich gefragt, ob er sie liebte. Jetzt wusste sie die Antwort. Rand würde ihr niemals einen Heiratsan trag machen – nicht einmal, um den Frieden zwischen Engländern und Walisern zu sichern. Was hatte er ein mal gesagt? Dass er nicht lange in Wales ble i ben würde, dass er nach London zurückkehren wolle, sobald die Festung auf Rosecliffe errichtet war. Warum hatte sie sich dennoch törichte Hoffnungen gemacht?
Sie schaute schnell weg, denn er sollte die Tränen in ihren A u gen nicht sehen.
Automatisch begann sie ihre wirren Haare zu käm men. Es war eine mühsame und schmerzhafte Arbeit, aber sie war dankbar für die Ablenkung. Höchste Zeit, kindische Träume zu vergessen. Höchste Zeit, von ihrer Liebe Abschied zu nehmen.
TEIL 2
»All jene, die verzweifelt sind, beten um Gnade, Mitleid, Frieden und Liebe.«
William Blake
20
Schwere Wolken hingen am Himmel, so als trauerte er zusa m men mit Josselyn. Schweigend legten Rand und sie den Weg zur Mauer zurück. Der steinige Hügel war noch in Halbdu n kel gehüllt. Von ihren Landsleuten war nichts zu sehen.
Rand stieg an einer Stelle über die Mauer, wo sie nur kni e hoch war, und streckte Josselyn die Hand entgegen, doch sie ve r schmähte seine Hilfe. Sie würde ja für den Rest ihres Lebens ohne ihn auskommen müs sen…
Vorerst war diese Mauer noch niedrig, und doch war sie ein Symbol für alles, was sie und Rand trenn te: es war die Wand zwischen England und Wales, die Wand zwischen seinen und ihren Zielen. Eine un überwindliche Barriere…
Hinter ihnen rief Osborn plötzlich: »Da ist er! Siehst du ihn?« Er deutete auf zwei Gestalten, die aus dem Wald getreten waren.
Der Bodennebel verhüllte ihre Füße, sodass sie zu schweben schienen. Einer der Männer bewegte sich trotzdem so steif wie ein Greis, und als er näher kam, sah man, dass seine Hand verbunden war. Jasper, begleitet von einem triumphierenden O wain!
Josselyn kämpfte gegen eine heftige Übelkeit an. Wenn Rand sie nicht am Arm gepackt und mit sich gezogen hätte, wäre sie wie angewurzelt stehen geblieben, so sehr widerstrebte es ihr, auf ihren Ver lobten zuzugehen.
Kies knirschte unter ihren Schuhen, doch ansonsten herrschte Totenstille. Josselyn warf Rand einen Seiten blick zu. Sie spürte seine Anspannung, seine Bereit schaft, gegen Owain zu käm p fen. Aber sie wollte nicht riskieren, dass auch er verletzt wu r de…
»Schickt Josselyn zu mir!«, brüllte Owain, der mit seiner Geisel noch etwa fünfzig Schritte von ihnen entfernt war. Sie ü bersetzte, doch Rand hielt sie am Arm fest. »Heirate
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