Die Breznkönigin: Roman (German Edition)
eine Mischung aus einer halbverdauten Nacktschnecke und … einer ungewaschenen Muschi. Oder irgendwie so. Auf alle Fälle nicht wie etwas, das man essen würde.
» Runter damit«, ermutigt mich Tino.
» Runter damit«, sagt jetzt auch die alte Dame mit den Perlohrringen, die neben mir sitzt. Na toll. Ich sollte schnell machen, sonst mischen sich auch noch die Nachbartische ein.
Ich überlege, ob ich mir die Nase zuhalten soll, aber das wäre wahrscheinlich albern.
» Einfach schlürfen!«
Einfach. Schlürfen. Aber klar doch. Ich träufele ein bisschen Zitrone auf den Schlonz, halte die Luft an, setze die Schale an die Lippen und kippe das Zeug dann einfach hinter. Ein Schwall kalter Schleim glitscht mir über die Zunge. Sein Geschmack erinnert mich verdächtig an das Wasser aus dem Weiher in Mingharting.
» Bäh«, mache ich und verziehe das Gesicht.
Die alte Dame schiebt mir ihr Champagnerglas hin.
» Nachspülen«, befiehlt sie.
Meinetwegen. In diesem Moment würde ich alles trinken. Und dieser Champagner hier ist eigentlich ganz lecker.
» Und?«, fragt der Tino, als ich das Glas wieder abgesetzt habe.
» Eher komisch«, antworte ich höflich.
» Iss noch fünfe, Kleene, dann verstehste ooch, was ditt für ne Delikatesse is«, sagt die alte Dame neben mir.
Noch fünf? Das wäre dann eine Lernkurve, auf die ich nicht besonders scharf bin.
» Ick komm eenmal die Woche hierher und ditt seit fünfundvierzig Jahren, und ick find se immer noch köstlich!«, sagt sie.
Sie sieht wirklich entzückend aus, ganz klein und runzlig, ein bisschen wie das Omilein, nur dass sie keinen Baumwollschurz trägt, sondern ein teuer aussehendes Seidenkleid, jede Menge Perlenschmuck und viel pinken Lippenstift dort, wo mal ihre Lippen waren. Die Farbe befindet sich auch am Rand des Champagnerglases, wie ich jetzt erst sehe. Aber gut, nun ist es zu spät. Außerdem ist Alter ja auch nicht ansteckend.
» Seit fünfundvierzig Jahren?«, sagt Tino erstaunt.
» Ja, da guckste, Kleener«, sagt sie stolz. » Jeden Montach, um die Woche zu begrüßen. Ditt hält jung!«
» Was hält jung? Austern und Champagner? Oder die Woche zu begrüßen?«, frage ich und schaue sie skeptisch an.
» Quatsch. Det Leben zu jenießen!«, ruft sie. » Det macht Glanz in de Oogen! Komm, ick spendier dir noch’n paar von den Dingern!«
» Danke«, wehre ich lachend ab. » Lieber nicht!«
» Stell dir nich so an! Was ist mit dir, Jungchen?«
» Danke«, sagt Tino. » Wir müssen leider weiter.«
Ich sehe auf das Display meines Handys, und es stimmt. In einer halben Stunde ist schon Tinos Shooting.
Tino bezahlt und wir rutschen von unseren Barhockern.
» Auf Wiedersehen!«, sagt Tino zu ihr.
» Und danke für den Champagner!«, füge ich hinzu.
» Keene Ursache!«, sagt sie und winkt mir nach. » Und immer schön det Glücklichsein nich verjessen!«
» Nett, die Alte«, sage ich, als wir wieder ans Tageslicht treten.
» Und klug«, sagt der Tino.
» Was meinst du?«
» Na, was sie gesagt hat. Dass man das Leben genießen soll!«
Tinos Job besteht heute darin, einen jungen Schriftsteller zu fotografieren, und wieder einmal hat er eine wirklich gute Idee: Er setzt den Kerl nämlich in einen Altpapiercontainer. Ich hätte ihn wahrscheinlich allenfalls vor seine Bücherwand gestellt, aber das mit der Container ist natürlich viel lustiger. Der Schriftsteller, ein hübscher, junger Mann mir zerzauster Frisur, hat nämlich nicht einfach nur einen langweiligen Roman geschrieben, sondern hatte den Einfall, alle Folgen von The Voice of Germany wortwörtlich zu protokollieren und als Buch herauszubringen. Er wollte vorführen, was für einen Müll die im Fernsehen so reden. Alle, also wirklich alle – Literaturkritiker, Musikjournalisten, sogar Modemagazine – sind hingerissen von dem Projekt, und das Buch verkauft sich wie blöde. Was mir wiederum eher unverständlich ist. Ich meine, die Idee ist natürlich ganz witzig, und es ist es auch unterhaltsam, diese dummen Jurydiskussionen schwarz auf weiß gedruckt zu sehen. Aber wenn man ein bisschen länger drin blättert, stellt man fest, dass der Inhalt jetzt auch nicht so viel spannender als die Fernsehsendung ist. Dem Schriftsteller scheint der Erfolg auf alle Fälle zu Kopf gestiegen zu sein, denn er schenkt mir unaufgefordert und mit großer Geste ein Exemplar seines Werkes, gewidmet und signiert.
Nach dem Shooting ist der Tino so aufgekratzt, dass er unbedingt noch etwas Tolles machen
Weitere Kostenlose Bücher