Die Breznkönigin: Roman (German Edition)
Kuchengabel aus der Hand, trinkt seinen Kaffee aus, springt unter die Dusche und ist – typisch – nach ungefähr zwei Minuten schon wieder raus. Er zieht sich an, schnappt sich seine Fototasche und steht kurz danach vor mir.
» Bis heute Abend, Fanny. Und danke für den Kuchen!«
» Viel Spaß beim Fotografieren!«
Ich gebe ihm ein Bussi und bleibe in der Wohnungstür stehen, bis er auf der Treppe um die Ecke ist. Dann spüle ich das Geschirr, decke den Kuchen mit einer umgedrehten Salatschüssel ab und springe ebenfalls unter die Dusche. Oder na ja, was heißt springen. Es braucht halt alles seine Zeit.
Als ich ungefähr eine halbe Stunde später das Wasser wieder abdrehe, bemerke ich, dass ich immer noch Kopfweh habe. Oh, hätt ich bloß nicht diesen Sekt getrunken! Ob ich kurz kalt dusche? Helfen tät’s bestimmt, aber bei sowas bin ich leider Memme statt Männin. Stattdessen föhne ich mir die Haare, was die Schmerzen leider noch schlimmer macht. Wahrscheinlich, weil sich die Migränebakterien unter Hitzeeinfluss schneller bewegen.
Ich blicke in den Spiegel und lächle müde. Dann öffne ich das kleine Schränkchen.
Eigentlich finde ich es falsch, ständig Schmerzmittel zu nehmen, so wie der Tino, für den eine schöne Portion Acetylsalicylsäure quasi zum Frühstück dazu gehört. Das hat vielleicht etwas masochistisches, aber normalerweise habe ich bei einem Kater immer das leise Gefühl, Strafe muss sein. Doch heute bin ich so schlecht beinander, dass mir gar nichts anderes übrig bleibt, als zur Tablette zu greifen.
Leider ist das, was ich im Spiegelschrank entdecke, viel schlimmer als das blöde Kopfweh.
Auf einer Dose Niveacreme liegt ein goldenes Häufchen. Tinos Kette.
Ach, Mann.
Irgendwo ganz tief in mir drin geht so etwas wie eine Falltür auf, durch die alles, was mich sonst aufrecht hält, wegsackt. Mit einem Mal bin ich ganz leer: im Kopf, im Bauch, im Herzen.
Und dann taucht ein neues Gefühl in mir auf.
Das Gefühl, etwas begriffen zu haben.
Ich muss einen Moment die Augen schließen und ganz tief einatmen. Als ich sie wieder öffne, ist der Anhänger immer noch da.
Das Ding ist aus Gold, das ich mir eigentlich gar nicht leisten konnte. Ich hab es mit meinen eigenen Händen geschmiedet, vier ganze Vormittage lang. Und jetzt hat Tino es einfach liegen lassen, auf einer Cremedose, zwischen einem Rexona-for-Men-Deostift und einer Schachtel Wattestäbchen.
Tränen steigen mir in die Augen.
Okay, Fanny. Beruhige dich. Ganz ruhig, ja? Hey, bestimmt gibt es dafür eine Erklärung. Ich meine, es gibt für alles eine Erklärung. Immer. Höchstwahrscheinlich hat er sich einfach nach dem Duschen mit Nivea eingecremt und, damit der Anhänger nicht fettig wird, die Kette abgenommen. Und dann hat er vergessen, sie wieder anzulegen. Er hat sich eben noch nicht daran gewöhnt, das ist doch ganz klar. Du hast deinen Anhänger am Anfang, als er neu war, sicher auch öfter mal am Waschbecken vergessen.
Nein, hab ich nicht.
Außerdem cremt Tino sich nicht den Hals mit Nivea ein. Er verwendet überhaupt keine Nivea. Die Dose gehört mir. Und Schmuck, den man nur mal kurz abnimmt, legt man auf den Waschbeckenrand und versteckt ihn nicht im Schrank, oder?
Er wollte den Anhänger nicht tragen. Und dann hat er ihn auch noch so schlecht versteckt, als hielte er mich für vollkommen blöde.
Und jetzt?
Was soll ich jetzt mit alldem anfangen? Bin ich traurig? Enttäuscht? Wütend?
Alles zugleich?
Meine Verabredung mit Frida fällt mir ein. Ich müsste mich fertigmachen und losgehen. Aber ich kann mich überhaupt nicht bewegen.
Ich bin viel zu spät dran, als es mir doch noch endlich gelingt, mich aus meiner Erstarrung zu reißen und das Haus zu verlassen. Ich hasse es, wenn andere auf mich warten müssen, ich hab dann das Gefühl, total respektlos zu sein, darum renne ich fast zum Café Colette. Und während ich hastig über rote Ampeln laufe und Straßen an widersinnigen Stellen überquere, male ich mir aus, wie Frida mir sofort ansehen wird, dass etwas mit mir nicht stimmt, und dass sie dann etwas sagt, das mich beruhigen wird. Dass Tino den Anhänger so toll findet, dass er Angst hat, ihn zu verlieren, so etwas in der Richtung. Das gibt mir Hoffnung, und schon die hilft mir so sehr, dass ich fast überhaupt nicht mehr niedergeschlagen bin, als ich um die allerletzte Ecke biege und gerade noch sehe, wie Frida das Café Colette betritt – und hinter ihr: Dolores.
O nein.
Ich mache auf dem Absatz
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