Die Brillenmacherin
leben, er soll die englischsprachige Bibel fertigstellen, und Ihr werdet sehen, welche Kraft das Wort hat, weit überlegen jeder Belagerungsmaschine, weit überlegen jeder Schwertklinge, jedem Armbrustbolzen.«
Er breitete die Arme aus. »Seht Ihr mich lächeln? Ich weiß, daß es heute nur zwei Möglichkeiten gibt: den Tod oder den Sieg der Reformation. Die Entscheidung über diese Möglichkeiten trifft das erstaunlichste, das stärkste und königlichste Wesen dieses Alls, und darum fürchte ich mich nicht. Gott selbst wird an unserer Seite kämpfen. Oder er gibt uns verloren, aber was können wir tun, wenn der Allmächtige uns verläßt? Dann spielt es keine Rolle, ob wir auf dem Schlachtfeld stehen oder im Bett liegen, er beschließt unseren Tod und führt ihn aus. Wir befinden uns in seiner Hand. Das ist gut, Männer, das ist eine gute Nachricht! Kämpft mit frohem Herzen. Ich bin davon überzeugt, daß Gott diese Reformation will, und ich bin davon überzeugt, daß er die Übermacht der Feinde vertreiben wird, wie der Wind trockenes Laub vor sich hertreibt, wenn wir ihm nur vertrauen.«
|386| »Sir«, rief ein Posten vom Herrenturm herab, »die Türme sind jetzt in Schußreichweite!«
Thomas Latimer reichte dem Captain die Hand. Der Captain schlug ein, nickte. »Macht Euch bereit«, sagte Latimer. Er ging zu den vier Rittern am Brunnen hinüber, deren Knappen ihnen gerade die Panzer anlegten.
Catherine mußte die Türme sehen. Es würde weniger schrecklich sein, wenn sie statt des Polterns die Wirklichkeit sah, hoffte sie. Inmitten der Männer stieg sie die Treppe zum Wehrgang hinauf. Oben spannten junge Schützen Bogensehnen auf ihre rot und gelb bemalten Stecken. Andere kurbelten Armbrüste schußbereit. Catherine lehnte sich zwischen zwei Zinnen an den Holzwall und sah in Richtung Dorf. Ihr stockte der Atem. Die Türme waren groß. Aus der Ferne waren sie klein erschienen. Sie waren ebenso hoch wie der Burgwall. Drohend schoben sie sich den Weg zur Burg hinauf, drei in einer Reihe, hinter sich einen Schwanz von Menschen herziehend, hinter jedem Turm mehr Menschen, als die gesamte Burgbesatzung umfaßte. Es waren Ungeheuer. Felle hingen von den Türmen herab, als hätten sie die Tiere überrollt und sich mit ihren blutigen Häuten geschmückt. Aus dunklen Scharten spähten die Türme auf die Burg, abschätzig, hinterlistig. Der Tag brach an, der Himmel verfärbte sich, und in der Luft dröhnte das Knirschen der Räder.
Latimer kam die Treppe hinauf. »Feuerpfeile!« befahl er.
Die Schützen zogen Pfeile aus ihrem Gürtel, hielten sie in die Fackeln, spannten, zielten, schossen. Kleine Flammen flogen in hohem Bogen auf den ersten Turm zu. Sie trafen auf seinen Leib, blieben stecken. Ihre Flämmchen flackerten hilflos. Eine zweite Schar Pfeile prasselte auf ihn ein, ebenso wirkungslos.
»Aufhören.« Latimer rieb sich das Kinn. »Die Felle sind mit Wasser getränkt. Es hat keinen Zweck.« Er sah in den Hof hinab. »Holt die Stangen!«
Die Türme passierten die Karpfenbecken. Da sah Catherine hinter ihren Spähschlitzen weißes Licht aufflammen. |387| Schwefel, Steinsalz, Pech, Harz, gebrannter Kalk: Das Byzantinische Feuer. Repton hatte die Wahrheit gesagt.
Hinter den Becken teilten sich die Türme auf, sie rollten nun nebeneinander auf die Burg zu. Schützen erschienen auf ihnen, spannten die Bögen. Im letzten Augenblick kauerte sich Catherine hinter eine Zinne. Ein Pfeilschwarm pfiff herüber und hagelte nieder. Neben ihr brach ein junger Bogenschütze zusammen, weiter hinten stürzte einer rückwärts vom Wehrgang in den Hof. Die Schlacht hatte begonnen.
Hawisia weinte. Neben Catherine standen die Schützen auf, spannten nun ihrerseits die Sehnen, schossen. Sie mußte fort von hier! Sie mußte in ein Haus, Deckung suchen! Aber sich jetzt erheben? Wieder hagelten Pfeile nieder. Ein großer Schatten verdunkelte den Wehrgang. »Die Stangen!« brüllte Latimer.
Männer trugen zu zweit angespitzte, dünne Stämme heran, warfen sich hinter die Zinnen. Vorsichtig hob Catherine den Kopf, um zwischen ihnen hindurchzuspähen. Der Turm stand wenige Armlängen vom Wall entfernt, eine seiner Wände löste sich, sie fiel hinunter auf die Zinnen. Eine Brücke! Catherine sah auf eisengerahmte Schilde, eine ganze Wand von Schilden, dahinter ein feuerleuchtender Kessel. Die Schilde rückten vor.
Da sprangen die Männer auf, drehten ihre Stangen zu den Anrückenden und schoben sie in die Menge. Einige stürzten in
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