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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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diese Burg niederbrennen und bleibt ungestraft! |393| Hätte er sich doch nicht Nevills Heer angeschlossen, sondern wäre in das Zentrum der erzbischöflichen Streitmacht vorgedrungen. Vielleicht wäre Courtenay noch da gewesen, vielleicht hätte er ihn erwischen können.
    Es war sehr still in Annes Zimmer. Schmutzig, blutbefleckt, verschwitzt, wie er war, setzte er sich auf ihr weißes Bettleinen. Wen kümmerte das noch? »Wir haben verloren, Anne«, sagte er.
    Sie sah ihn an. War das Zuneigung in ihrem Blick? »Aber du lebst.«
    »Ja, ich lebe, um die Niederlage ganz auskosten zu können. Wäre ich doch gefallen!«
    Ihre Brauen zuckten. »Sage so etwas nicht.«
    »Willst du wissen, wie es hier aussieht?« Er stand auf, ging zum Fenster. »Nichts als schwarze, rauchende Ruinen. Und Leichen. Der Captain ist tot, von seinen Männern haben zwei überlebt, ganze zwei! Roger Newenton ist tot, Amaury de Criol ist tot, Hugh Pauncefoot ist tot. Ich habe diese Männer in den Untergang geführt! Hörst du das Stöhnen der Sterbenden?«
    »Steht die Kanzlei?«
    Was fragte sie das? Ja, sie stand, die Halle darüber war abgebrannt, aber das Unterschoß hatte man gerettet. Was interessierte Anne die Kanzlei? »Warum fragst du das?«
    »Sie steht?«
    »Ja, sie steht.«
    »Dann hast du nicht verloren. Du weißt, ich halte nichts von deiner Reform. Aber ich bin stolz auf dich. Du hast diese Schlacht gewonnen. Hast du Courtenay nicht zurückgeschlagen?«
    »Mit Williams Hilfe. Das heißt, es war eher William, der ihn zurückgeschlagen hat.«
    »Dein Freund und Verbündeter.«
    »Aber wir haben den Doktor nicht befreit. Verstehst du?« Er kehrte zum Bett zurück. »Wenn einer die Bibelübersetzung fertigstellen kann, dann ist es er. Du bist eine kluge |394| Frau, ich weiß das. Berate mich, Anne! Wie kann ich ihm den Doktor abjagen?«
    Anne schloß die Augen. Nach einer Weile öffnete sie sie wieder, sah starr zur Decke hinauf. »Ich fürchte, du mußt den Doktor verloren geben.«
    »Du weißt etwas. Sage es mir!«
    »Es gibt keinen Weg. Nichts jedenfalls, das Gelingen verspricht.«
    »Woran hast du gedacht? Was ist es, das du mir nicht sagen willst?«
    »Ich möchte, daß du lebst.«
    »Anne.« Er ergriff ihre Hand. »Ich werde keine Ruhe finden, bis Doktor Hereford befreit ist.«
    Sie schwieg für einige Atemzüge. Dann sagte sie: »Euch bleibt, das Äußerste, das Unglaubliche zu wagen. Das, mit dem Courtenay niemals rechnet.«
     
    Unten auf dem Hof hatte sich Nevills Gefolge um einen jungen Mann versammelt. Nevill begutachtete einen Armbrustbolzen, der tief in dessen Arm steckte, von Eiter umgeben. »Wer ist das?« fragte Latimer, kaum, daß er aus dem Turm getreten war.
    »Ein Student. Ihm verdankst du dein Leben.«
    »So? Und warum?«
    »Als Doktor Hereford überfallen wurde, hat er ihm zugeraunt, daß er sich vom Pferd fallen lassen und sich tot stellen soll. Der tapfere Student hat es getan, aber ein Bolzen hat ihn noch im Arm erwischt. Er versuchte fortzukriechen. Courtenay ließ ihn gewähren, um ihn sterben zu sehen. Nach einigen Armlängen streckte er sich aus und blieb regungslos liegen, obwohl es sicher höllisch geschmerzt hat. Nachdem man ihn zu den Toten geschleift hatte, ist er in einem günstigen Augenblick geflohen. In Market Harborough hat er ein Pferd gestohlen und ist nach Nottingham geprescht. Wie ein Wahnsinniger hat er im Burghof herumgebrüllt, und so bin ich auf ihn aufmerksam geworden.«
    |395| Der Student errötete. »Ich habe nur getan, was der Doktor mir aufgetragen hat.«
    Latimer verneigte sich knapp. »Ich danke dir. Tatsächlich hast du mir das Leben gerettet.«
    »Nur frage ich mich, ob es falsch war, den Bolzen steckenzulassen.« Nevill beugte sich wieder über die Wunde. »Ich hoffte, er würde herauseitern.«
    Latimer legte Nevill die Hand auf die Schulter. »Kann ich dich unter vier Augen sprechen?«
    Er schwieg, bis sie weit genug von den anderen entfernt waren, um nicht gehört zu werden. Dann sagte er: »William, es bleibt uns noch eine Möglichkeit.«
    Nevills Gesicht verwandelte sich in die Grimasse eines Wolfes. »Nimm doch endlich diese Schlacht so hin, wie sie gelaufen ist! Wären wir eine Stunde später hier angelangt, hätte keine Seele überlebt, und auch dein Wohnturm wäre nur noch ein schwarzer Stummel, von der Kanzlei ganz zu schweigen. Vielleicht hat Gott dir nicht das glanzvolle Ergebnis geschenkt, das du dir gewünscht hast, aber du lebst, Thomas, kannst du nicht einsehen,

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