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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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glücklich zu sein, ihn bald zu heiraten. Waren ihre Tränen gespielt gewesen? Waren die Küsse eine Rebellion gegen den Vater und sonst nichts? Alans Kehle schnürte sich zu.
    Der Spanneby wirbelte herum und streute May Samenkörner ins Gesicht. Sie floh über das Feld, er folgte. Sie kreischten vor Vergnügen.
    »May«, flüsterte Alan. Tag um Tag hatte er an sie gedacht, sich nach ihr gesehnt. So belohnte sie seine Treue?
    Er wendete sich um, ging langsam den Weg hinunter entlang der Schlehenbüsche. Das Gesicht fühlte sich taub an. Die Füße trotteten voran, als gehörten sie zu einem fremden Körper.
    Miststück! So wenig bedeutete er ihr also. Hätte er sie weniger geliebt – es wäre leichter zu ertragen gewesen. Was, wenn ihre Zuneigung nur Mitleid gewesen war? Alan, der einsame Verlierer, den der Vogt verachtete. Wenigstens einmal sollte er glücklich sein, hatte sie vielleicht gedacht, also küsse ich ihn und lüge ihm etwas vor von Sorgen um seine Zukunft. Mitleid!
    Nun, die Dinge lagen anders inzwischen. Sollte sie nicht erfahren, wie enttäuscht er war? Sollte sie nicht Enttäuschung über sich selbst empfinden? Bereuen, was sie getan hatte? Sie mußte sehen, was aus ihm geworden war. Wenn sie dann wünschte, statt des Spanneby ihn zu heiraten, würde er sie seinerseits zurückweisen, und sie würde erleben, wie es sich anfühlte, nicht gewollt zu sein.
    Alan blieb stehen. Er nestelte die Bogensehne aus dem Lederbeutelchen. Der Duft des Bienenwachses spendete Kraft, der vertraute Flachsfaden in seiner Hand erinnerte ihn an das, was er konnte, worin er selbst einem Spanneby überlegen war, gleichgültig, wieviel der besaß.
    |245| Er drehte den Stab zurecht: Das rotbraune Kernholz war der Bogenbauch, das Splintholz der Bogenrücken. Nie durfte man das verwechseln, sonst brach der Bogen beim Bespannen. Ein Ende der Sehne legte er in die Hornnocke an der Stabspitze, dann hängte er sein Körpergewicht an das Holz, um es zu biegen. Rasch befestigte er das andere Ende der Sehne an der unteren Nocke.
    Alan löste die Armschiene vom Gürtel und den Handschuh, zog die Schiene über den linken Unterarm, den Handschuh auf die Finger. Er öffnete und schloß die Hand. Leise knirschte das Leder. Zur Probe zog er ein wenig die Sehne. Sie war straff gespannt.
    Mit der Rechten schnürte er den Lederlappen am Gürtel auf. Da steckten sie, wie bei jedem Langbogenschützen Englands, vierundzwanzig Pfeile. »Jeder von uns«, sagte David immer, »trägt vierundzwanzig Schotten unter seinem Gürtel.« Vier Heulpfeile ragten über die anderen hinaus. Sie trugen hinter der Eisenspitze ausgehöhlte, durchlöcherte Holzknorren, deshalb waren sie länger, wegen der dicken Knorren ließen sie sich sonst nicht so weit zurückziehen auf der Sehne, es mußte ausgeglichen werden durch einen längeren Schaft. Einen der vier angelte er heraus und setzte das Pfeilende mit der Kerbe auf die Sehne. Hinter den drei weißen Federzipfeln umfaßte er den Schaft mit Daumen und Zeigefinger. Er spannte den Bogen, zog den Pfeil bis zum Ohr. Er schoß.
    In hohem Bogen sauste der Pfeil über das Feld, und er heulte wie ein Wolf dabei. Diese Pfeile machten auf dem Schlachtfeld die Pferde scheu, das war ihre Aufgabe. Hier, über dem Feld am Birkenwäldchen, ließ das Gellen May und den Spanneby zusammenschrecken.
    Alan trat hinter den Schlehenbüschen hervor. Er hielt gerade auf die beiden zu. Seine Schritte sollten Entschlossenheit beweisen und Mut, und weil die Schritte Entschlossenheit und Mut bewiesen, fühlte er sich augenblicklich entschlossen und mutig. Er war eben nicht mehr Mays Geliebter, er war Langbogenschütze, und er hatte zur Übung einen Heulpfeil |246| abgeschossen. Nun ging er hinüber, um ihn einzusammeln und um höflich zu grüßen, nicht mehr, nicht weniger.
    May klammerte sich vor Furcht an den starken Arm des Spanneby. Als Alan näher kam, nahm sie unvermittelt die Hände herunter und brachte einen halben Schritt Abstand zwischen sich und den Spanneby. Sie bemühte sich, das Gesicht aufrecht zu halten und nicht den Blick niederzuschlagen vor Scham. Dennoch, sie schämte sich, sie … Sie weinte. May weinte.
    Kurz bevor er sie erreichte, schlug sie die Hände vor das Gesicht und wendete sich ab. Was sollte das? Der Mut und die Entschlossenheit drohten ihn zu verlassen. Mit Mühe machte er weiter feste Schritte, mit Mühe zwang er sich, nicht die weinende May, sondern den Spanneby anzuschauen und ihn zu grüßen. »Sät Gerste,

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