Die Bruderschaft der Woelfe
Rolands Augen ließ nach, und nun konnte er erkennen, daß die Greifer zurückwichen, weil dieser Laut sie verblüfft hatte, doch im nächsten Moment griffen sie bereits mit verstärkter Vehemenz an, als hätte der Schrei ihre Wut erst richtig entfesselt.
Roland hörte auf der Mauer schockierte Rufe; bei den
steinernen Werften wurden Schiffe ins Wasser gelassen.
Sie besaßen weder Segel noch Ruder. Statt dessen stakten die Greifer mit ihren langen Kriegsklingen ins Wasser und bewegten ihre Boote so fort.
Roland blinzelte und unterdrückte die Tränen. Die seltsamen Fahrzeuge mit ihren hohen Bugen erinnerten ihn um alles in der Welt an schwarze Walnußhälften, die in einem Teich schwimmen.
Nur rasten diese Schiffe mit Hunderten Greifern an Bord auf sie zu.
Panik erfaßte ihn. Er hatte gehofft, er müsse sich dem Feind nicht stellen. Wenigstens stand er auf der Südmauer, und wie man wußte, konnten Greifer nicht schwimmen, sondern versanken wie ein Stein.
Außerdem, redete er sich nüchtern ein, war die Außenfläche der Mauern viel zu glatt, als daß ein Mann oder ein Greifer dort Halt fände, und wenngleich der Putz Schaden erlitten hatte, konnte niemand dort hinaufklettern.
Er umklammerte seinen langen Dolch, der ihm zur
Verteidigung gegen Straßenräuber noch vor zwei Tagen als die bestmögliche Waffe erschienen war, und fragte sich, was er ihm in dem bevorstehenden Kampf nutzen mochte.
Es war eine Torheit, hier zu sein, eine Torheit für jeden Gewöhnlichen, gegen Greifer antreten zu wollen.
Auf dem Damm stieß Raj Ahten erneut einen Schrei aus und hoffte, die Greifer erneut zu betäuben. Roland warf einen Blick hinüber. Die Ungeheuer ignorierten den Schrei nicht nur, sondern sie krabbelten nur um so blutgieriger auf ihren Feind zu.
»Macht Euch bereit!« rief Baron Poll. »Macht Euch bereit!«
Heuler setzten in einem unirdischen Chor zu ihrem
fremdartigen Brüllen an.
Die Männer auf den Wehrgängen liefen hin und her,
ergriffen Schilde und Schlachtäxte. Manche riefen Roland zu, er möge sich bewegen, und sie hievten einen schweren Stein auf die Zinnen neben ihm, bevor sie losgingen und den nächsten holten.
»Verdammt!« hörte Roland sich aufgeregt sagen, denn etwas anderes fiel ihm nicht ein. »Verdammt!«
»Seht nur!« rief jemand hinter ihm. »Sie haben das Tor erreicht.«
Roland blickte nach Westen. Raj Ahten und seine Männer zogen sich zurück, gefolgt von Klingenträgern. Die Ritter rannten in die Burg, und sofort zogen die Torwächter die Brücke wieder hoch. Ob es auch Greifer in die Burg geschafft hatten, konnte er nicht erkennen, da der Torturm ihm die Sicht versperrte.
Aufs neue reckte die Todesmagierin auf dem Knochenhügel ihren großen Stab in den Himmel, und wieder wurde das Zischen laut. Durch die ganze Burg ging ein Aufschrei, denn niemand wollte noch mal in den Bann des Fluchs geraten.
»Schließt die Augen! Haltet Euch die Ohren zu! Atmet den Rauch nicht ein!«
Roland sah zum Tor und beobachtete die Männer, die fielen, als der Fluch der Todesmagierin sie traf.
Er duckte sich hinter der Mauer, preßte die Hände auf die Ohren, kniff die Augen fest zu und hielt den Atem an.
Der zweite Stoß donnerte über ihn hinweg. Roland ließ sich zu Boden fallen, ließ die Augen geschlossen und wagte es nicht, die Hände von den Ohren zu nehmen.
Zu seiner Erleichterung half dies. Die verwirrende
Betäubtheit blieb aus.
Roland öffnete die Augen, und obwohl sie schmerzhaft
brannten und er nur schlecht sehen konnte, war er wenigstens nicht wieder erblindet. Er starrte in das Gesicht eines jungen Burschen, der vor Angst kreidebleich war und mit den Zähnen klapperte. Roland erkannte sofort, daß ihm zum Kämpfen der Mumm fehlte, und der Bemitleidenswerte würde an dieser Stelle und keiner anderen sterben.
Und während er dort kauerte, wußte es auch Roland, ja, jetzt verstand er es: Der Fluch der Todesmagierin diente allein dem Zweck, die Verteidigung zu verhindern.
Stets hatte Roland das Leben einfach auf sich zukommen lassen. Er hatte den Kurs weiterverfolgt, den seine Eltern für ihn bestimmt hatten, hatte alle Sticheleien seiner Frau mit einem Knurren abgetan. Nach Norden war er aufgebrochen, um einen Sohn zu suchen – den er nicht kannte –, und zwar nicht, weil er etwas für den Jungen empfand, sondern weil es das einzige schien, das er tun konnte.
Er biß die Zähne aufeinander und überlegte sich: Entweder bleibe ich hier liegen und gehe drauf wie dieser stumme
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