Die Bruderschaft der Woelfe
die Knie, stillte die Blutung und versuchte sich einen Reim auf das zu machen, was er vor sich sah.
Außer ihm hatte auf der Südmauer niemand überlebt. Zu Tausenden lagen überall Leichen verstreut, fast ausschließlich Menschen, unter ihnen nur wenige Greifer. Asche und Ruß rieselten zusammen mit Schneeflocken aus der kalten Luft herab.
Die Burgmauern schwankten, Steine knirschten. »Ich
Erwähle Euch. Ich Erwähle Euch für die Erde«, sagte eine Stimme in Rolands Kopf. »Flieht!«
Roland hörte den Ruf wie aus der Ferne, da er noch ganz in seinem Alptraum gefangen war. Er gab sich alle Mühe zu begreifen. Er blickte sich um. Sie sind alle tot, dachte er. Doch nein, entschied er, man hat die Stadt aufgegeben. Die Mauern wölbten sich auf, und Putz und Steine fielen in die Tiefe.
Er sah hinunter in die Burg. Die Haupttore lagen darnieder, wie auch beide Tortürme. Greifer waren in die Burganlage vorgedrungen. Die Männer von Carris kämpften im Burghof um ihr Leben, drängten den Gegner zurück, wollten den Damm erobern. Ein paar Frowth-Riesen standen ihnen zur Seite.
Die Ebene vor Carris war von Leichen übersät – graue
Greifer zu Tausenden. Am Fuß des Knochenhügels kämpfte ein Menschenheer. Hunderte von Rittern drehten sich mit gezückten Lanzen in einem Windrad.
Lanzen splitterten, wenn Männer und Greifer aufeinanderprallten. Pferde stürzten mit ihren Rittern. Klingen und Ruhmhämmer senkten sich in tödlichem Schwung.
Mitten im Windrad flatterte in der steifen Brise eine Fahne –
der Grüne Mann Mystarrias, das Banner König Ordens.
In einer winzigen Menschenansammlung erblickte Roland zum allerersten Mal den Erdkönig selbst, Gaborn Val Orden, der sich der Todesmagierin auf dem Knochenhügel zuwandte.
Wachen umkreisten ihn, und Roland stellte sich vor, sein Sohn würde sich unter ihnen befinden. Ach, wenn Averan das nur miterleben könnte.
Es stimmt, erkannte er. Die Stimme, die ich im Traum
vernommen habe… der Erdkönig hat mich tatsächlich
Erwählt.
Aber warum? wunderte er sich. Warum gerade ich? Ich bin dessen gewiß nicht würdig. Schließlich bin ich ein Mörder. Ich bin ein wertloser Gewöhnlicher. Ich bin kein Krieger.
Roland war kein Mann, der Phantastereien nachhing.
Und selbst dann hätte er sich niemals träumen lassen, vom Erdkönig Erwählt zu werden.
Auf einmal aber strömten Tränen über seine Wangen, und er fragte sich, wie er das Geschenk am besten erwidern konnte.
»Danke«, sprach er leise, unsicher, ob der Erdkönig ihn verstehen würde.
In diesem Augenblick wehte ein grauer Wind über die
Burgmauern und wirbelte die Gree wie Ascheflocken
durcheinander. Die Bö trug den Geruch eines Greiferfluches mit sich.
Von seiner Wunde geschwächt, war Roland kaum auf die
Knie hochgekommen. Jetzt erfüllte ihn der Wind mit Lethargie und raubte ihm den letzten Willen.
Er sank auf dem Wehrgang zu Boden. Er spürte, wie die Mauer schwankte. Er konnte kaum mehr die Kraft aufbringen, zu blinzeln, Luft zu holen oder gar um Hilfe zu rufen.
KAPITEL 32
Unerwartete Verwandtschaft
Vier Meilen vor Burg Carris saß Averan hinter Roland im Sattel und hielt sich verzweifelt an ihm fest, weil sie Angst hatte, vom Pferd zu fallen. Einer dieser Männer aus Indhopal hatte die grüne Frau hinter sich hochgezerrt, obwohl sie sich heftig dagegen gewehrt hatte.
Die Greifer, die sie verfolgten, hatten sie bald abgehängt.
Aber irgend etwas stimmte nicht. Warum befand sich Roland in Begleitung dieser wunderschönen Frau aus Indhopal und ihrer Leibwächter? Zudem verstand sie nicht, weshalb er heute andere Kleidung trug als gestern und so ein prächtiges Roß ritt.
Es war ihr ziemlich peinlich, als sie erkannte, daß dies überhaupt nicht Roland war. Es lag weniger an den Kleidern oder dem Pferd – dieser Mann roch anders. Seine Kleidung duftete nach Wüstensalbei und Sand, nicht nach den grünen Wiesen Mystarrias.
»Wer seid Ihr?« fragte sie ihn. »Ich habe Euch für jemand anderes gehalten – für meinen Freund Roland.«
Der große Mann sah sich zu ihr um. Jetzt war sie sicher, daß es tatsächlich nicht Roland war. Der Kerl hatte zwar dasselbe rote Haar und dieselben lachenden blauen Augen. Aber sein Haar war stellenweise bereits ergraut.
»Du kennst also jemanden mit Namen Roland?« fragte sie der Kerl. »Aus dem Blauen Turm?«
»Ja«, antwortete sie leise. »Er hat mich auf seinem Pferd mitgenommen. Zusammen mit Baron Poll war er unterwegs nach Cards. Er wollte nach
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