Die Bruderschaft der Woelfe
Myrrima da. Von einer
solchen Tradition hatte sie nie zuvor etwas gehört. Allerdings war während ihres Lebens in Heredon auch noch niemand in den Krieg gezogen.
So betrachtete sie eine Weile lang den viereckigen Hof, hinter dessen Sandsteinmauern die Übereigner wohnten.
Wenn jemand dieses Gebäude betrat, entsagte er der Welt –
bis entweder sein Herr oder der Übereigner starben. Daß solche Orte zu einer ganz eigenen Welt für sich wurden, an denen die Ereignisse draußen schlicht vorüberzogen, hatte sie sich nie bewußt gemacht.
Jetzt staunte sie um so mehr. Sie tanzten. Die Übereigner tanzten.
»Wird das den ganzen Tag andauern?« erkundigte sie sich.
»Aber sicher«, erwiderte der Blinde. »Bis zur Schlacht.«
»Aha, ich verstehe… Wenn Euer Herr heute stirbt, werdet Ihr Eure Sehkraft zurückerlangen. Welchen besseren Grund zum Feiern könnte es geben?«
Der Blinde packte die Weinflasche wie eine Keule und
fauchte: »Was für ein gemeines Weibsstück Ihr doch seid! Wir feiern, weil wir – er deutete mit dem Daumen auf sich – »heute in den Krieg ziehen. Mein Lord Groverman wird meine Augen benutzen, und wenn ich nur könnte, würde ich am liebsten an seiner Seite kämpfen.«
Er verschüttete Wein auf dem Boden: »Und durch dieses Trankopfer erbitte ich den Segen der Erde: Möge Groverman siegreich nach Hause zurückkehren, um eines Tages erneut zu kämpfen! Lang lebe Herzog Groverman!«
Der Blinde hob die Flasche und trank einen langen Schluck auf die Gesundheit des Herzogs.
Myrrima hatte nicht nachgedacht, bevor sie gesprochen hatte. Unabsichtlich hatte sie den alten Mann beleidigt.
In der Nähe der Mauer, ein wenig abseits der Feiernden, entdeckte sie Iome, die von drei Dutzend Bauern umgeben war – Männer und Frauen verschiedensten Alters und verschiedenster Herkunft. Sie hielten sich an den Händen und gingen langsam im Kreis, während Iome sprach. Im Hintergrund spielten zwei Musikanten leise einen Marsch auf Flöte und Trommel, eine alte Weise.
Was hier vor sich ging, hatte Myrrima mit einem Blick erfaßt.
Ein Krieger, der Gaben übernehmen wollte, wandte sich stets an einen Annektor, der eine Liste aller derer besaß, die als Übereigner dienen wollten. Der Annektor versammelte die Kandidaten, und da die Übereigner ihre Gaben stets freiwillig abtreten mußten, wollte sich der Krieger meist mit ihnen unterhalten. Er berichtete den Kandidaten die Gründe, die ihn antrieben, und er versicherte ihnen, sie für ihre Tat gut zu entlohnen und sie und ihre Familien zu versorgen.
Daher überraschte es Myrrima nicht, daß Iome sagte: »Ich bitte nicht nur für mich allein. Die Erde hat zu meinem Gemahl gesprochen und ihn gewarnt, uns stehe das Ende des Zeitalters der Menschen bevor. Wenn wir kämpfen, so nicht nur für uns selbst, sondern für die gesamte Menschheit.«
Ein Mann in dem Kreis rief: »Euer Hoheit, vergebt mir, aber Ihr seid nicht im Kriegshandwerk ausgebildet. Würde meine Gabe nicht einem anderen Lord bessere Dienste tun?«
»Damit habt Ihr recht«, erwiderte Iome. »Doch werde ich noch viel mit dem Schwert üben, und sollte ich eine Gabe der Muskelkraft erhalten, kann ich auch den Kriegshammer so gut wie jeder Mann handhaben. Dennoch will ich Euch nicht vormachen, ich würde mit großer Übung und großen Fähigkeiten in den Krieg ziehen. Aber mit großer
Geschwindigkeit zu kämpfen ist genauso todbringend wie mit großer Übung. Daher bitte ich um Stoffwechsel.« Den späteren Übereignern stockte bei diesen Worten der Atem.
»Warum? Aus welchem Grund wollt Ihr jung sterben?«
fragte eine ältere Frau aus der Gruppe.
Myrrima empfand Mitleid für Iome. Einer Zeremonie wie dieser hatte sie sich nie aussetzen müssen. Und sie bezweifelte, ob sie diese durchhalten würde. Mit Worten konnte sie nicht besonders gewandt umgehen, und wahrscheinlich würde sie keinen Fremden überreden können, ihr seine wertvollsten Eigenschaften abzutreten.
»Ich trage den Sohn des Königs in mir«, erklärte Iome.
»Gestern, als der Glorreiche der Finsternis auf Burg
Sylvarresta erschien, war er auf das Leben des Kindes aus –
nicht auf meines. Wenn meine Schwangerschaft ihre volle Zeit dauert, wird der Prinz nicht vor der Mitte des Sommers das Licht der Welt erblicken. Doch wenn ich Gaben des Stoffwechsels übernehme, könnte die Geburt bereits in sechs Wochen stattfinden.«
Gutes Mädchen, dachte Myrrima. Alle der möglichen
Übereigner sollten verstehen, welche Motive sie
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