Die Bruderschaft der Woelfe
vielleicht vierundzwanzig Gaben in der Stunde weiterleiten, zweihundertvierzig am Tag, wenn sie zehn Stunden arbeiteten, vielleicht auch vierhundert, wenn sie achtzehn Stunden lang durchhielten.
Saffiras Schönheit hatte während der Nacht und des
Vormittags unablässig zugenommen. Mit jeder Minute wurde sie anmutiger und strahlender.
Ihre Annektoren arbeiteten ohne Unterlaß bis zur
Erschöpfung. Trotzdem konnte sie eintausend Gaben
unmöglich schneller als in zwei Tagen übernehmen.
Zur Zeit waren sie seit ungefähr zwanzig Stunden
unterwegs. Borenson rechnete aus, daß sie, wenn sie scharf ritten, Carris in vier Stunden erreichen konnten – vielleicht auch weniger.
Aber Saffira mußte warten.
»Sie kann uns unmöglich noch einen weiteren Tag hier
festhalten!« meinte Borenson. »Mittlerweile belagert Raj Ahten Carris sicher längst. Morgen wird der Erdkönig über ihn herfallen.«
»Und wenn Carris fällt, wäre das so schrecklich?« fragte Pashtuk. »Ihr wollt eine einzige Schlacht verhindern. Saffira dagegen hofft, allen Kriegen ein Ende zu setzen.«
»Aber… noch einen ganzen Tag!«
Pashtuk schüttelte den Kopf. »Sie wird nicht noch einen Tag warten. Gestern, als Ihr schlieft, habe ich mit dem Haushofmeister des Palasts der Konkubinen gesprochen. Der Palast beherbergt weniger als fünfhundert Frauen und Wächter, dazu ein paar Diener. Saffiras Annektoren haben geschworen, bis zum Sonnenuntergang heute abend jeder Person, die den Einsatz eines Zwingeisens lohnt, Gaben abzunehmen. Wenn ihre Berechnungen stimmen, wird Saffira bis dahin über zwölfhundert Gaben der Stimmgewalt und zweitausendvierhundert Gaben der Anmut über ihre Vektoren erhalten haben.
Danach werden Kamele die einzigen Lebewesen im Palast der Konkubinen sein, denen die Annektoren noch Gaben gelassen haben.« Pashtuk lachte über seinen Scherz.
Borenson schmunzelte. Raj Ahten besaß gewiß nicht einmal halb so viele Gaben der Anmut. Borenson kannte in der gesamten Geschichte keine einzige Königin, die mehr als ein Zehntel dessen übernommen hatte, was Saffira zusammenzutragen hoffte.
Sie hatte nur ein einziges Mal die Gelegenheit, Raj Ahten zu überreden. Ein einziges Mal.
Schweigend ließ Borenson sich neben Pashtuk nieder und gönnte Saffira ihre Ruhe.
Am späten Nachmittag wachte Saffira auf, und nach einigen schweigsamen Minuten sagte sie mit einer Stimme, die jeden Gesang an Liebreiz übertraf: »Ich habe frohe Kunde. Die Annektoren führen mir keine weiteren Gaben zu. Wie dem auch sei, ihre Arbeit ist beendet.«
Nach dieser Neuigkeit sattelten Borenson und Pashtuk die fünf Pferde auf.
Wegen der schlammigen Straßen mußten sie langsamer
reiten, als Borenson lieb war, aber wenigstens hatte sich Saffira ausgeruht.
Er hoffte, Carris vor Sonnenuntergang zu erreichen.
Daher ritten sie zwanzig Meilen lang, so schnell es möglich war, bis sie schließlich auf eine Patrouille von Mystarria stießen, wie Borenson schon lange befürchtet hatte.
Ein Dutzend Ritter mit dem Wappen des grünen Mannes
lagen regelrecht zerfetzt am Straßenrand. Der Kadaver eines Pferdes baumelte vierzig Fuß hoch oben in den Ästen eines Baumes. Die meisten Männer waren in mehrere Einzelteile zerhackt worden – hier ein Torso, aus dem Eingeweide quollen, dort ein halbes Bein. Etliche Körperteile fehlten ganz offensichtlich. Der Boden rings um die Leichen war von schweren Füßen zerfurcht und zertrampelt worden, trotzdem war es den Rittern nicht gelungen, einen einzigen ihrer Gegner zu erschlagen. Selten hatte Borenson ein solches Gemetzel zu Gesicht bekommen. Und es war kaum eine Stunde her. Die Gedärme der Toten dampften noch.
»Sieht ganz so aus, als sei eine von Euren Patrouillen auf die Soldaten meines Herrn getroffen«, sagte Saffira einfältig. Sie bedeckte die edle Nase wegen des Gestanks von Blut und Galle mit einem Seidentuch. Der Anblick der toten, zerfetzten Krieger schien sie nicht aus der Ruhe zu bringen, denn sie zitterte nicht, und ihre Stimme klang ruhig.
Borenson fragte sich, was sie in ihrem zarten Alter schon mit angesehen haben mußte, wenn sie das hier kalt ließ.
Vielleicht kümmert es sie nicht, überlegte er, weil diese Krieger ihre Feinde sind.
Pashtuk schüttelte bloß den Kopf, als sei er Saffiras Naivität leid. »Sie sind nicht auf unsere Truppen gestoßen, oh Großer Stern. Kein Mensch würde einen anderen derart in Stücke reißen. Das hier haben Greifer angerichtet.«
»Oh«, machte Saffira ungerührt,
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